Nürnberg, Pilgerspitalkirche St. Martha
Einführung zum Standort
Die einstige Pilgerspitalkirche St. Martha bewahrt im Chor und in den beiden Fenstern an den östlichen Stirnseiten der Seitenschiffe noch einen umfangreichen Teil ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Farbverglasung aus der Zeit um 1385/90, 1410 und 1420/30. Sie zählt mit einem Gesamtbestand von rund 150 Einzelfeldern – nach den großen Pfarrkirchen St. Lorenz und St. Sebald – zu den bedeutendsten Denkmälern der Gattung, die Nürnberg in seinen Mauern beherbergt.
Die Stiftung des vor dem inneren Frauentor an der Straße nach Regensburg gelegenen Pilgerspitals St. Martha geht auf eine Initiative des kaiserlichen Forstmeisters Konrad IV. Waldstromer († 1360) und seiner Ehefrau Agnes Pfinzing († 1357) von 1356 zurück. Sie wurde jedoch erst am 27. Oktober 1363 von deren Söhnen Konrad und Johann ausgeführt. Die Errichtung der Herberge, die allen fremden Pilgern in der Regel für zwei bis drei Nächte Unterkunft und Verpflegung gewährte, umfasste auch eine ewige Pfründe für einen Priester, der im Haus wohnen und die Messe halten sollte. Mit dem Bau der Kirche wurde offenbar bald begonnen, denn in einer zweiten Urkunde vom 15. August 1365 verpflichteten sich die Stifter gegenüber dem Rat der Stadt, nicht mehr Mauerwerk aufzuführen, als zu einem Chor von 20 Schuh Breite und 30 Schuh Länge erforderlich sei. Mehrere in den Jahren 1363, 1364, 1366, 1367, 1368, 1372, 1376 und 1381 pro fabrica capellae (für die Kirchenfabrik) ausgestellte Ablassbriefe beförderten den Baufortgang, und nach einer für die bescheidenen Dimensionen doch erstaunlich langen Bauzeit von über 20 Jahren erfolgte schließlich am 24. März 1385 die Weihe der Kirche und ihrer drei Altäre.
Anders als in den meisten Pfarrkirchen wurde in den Chorfenstern von St. Martha trotz unterschiedlicher Stifterfamilien aus dem Nürnberger Patriziat ein kohärentes Bildprogramm ins Werk gesetzt. Es umspannte in fortlaufender Reihenfolge die gesamte Heilsgeschichte von der Erschaffung der Welt bis zum Jüngsten Gericht am Ende der Tage. Am vornehmsten Fensterplatz in der Chorachse – in unmittelbarer Nachbarschaft des Zelebrationsaltars – hatten die Stifter zudem in einer ausgesuchten Bilderreihe der theologischen Auslegung des christlichen Messopfers Raum gegeben, um so den gläubigen Betrachter zur Teilnahme am Sakrament der Eucharistie anzuhalten. Zu den Besonderheiten der Chorverglasung zählt auch die ausführliche Darstellung apokalyptischer Themen, darunter die äußerst seltene Darstellung der Fünfzehn Zeichen vor dem Jüngsten Gericht. Sie sind Ausdruck eines allgemeinen Krisenbewusstseins nach der Großen Pest Mitte des 14. Jahrhunderts.
Ausgeführt wurden die Glasmalereien von leistungskräftigen Nürnberger Werkstätten, die im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert ihre Erzeugnisse weit über die Grenzen der Stadt und des fränkischen Umlands hinaus bis nach Thüringen, Schwaben und Altbayern exportierten. An den künstlerisch bedeutendsten Fenstern des Langhauses finden sich Glasmaler wieder, die um 1400 auch für den Erfurter Dom, das Ulmer Münster und die pfalzgräfliche Residenz in Amberg tätig waren.
Literatur:
Hartmut Scholz, Die gotischen Glasmalereien in St. Martha, Nürnberg (Kleine Kunstführer Nr. 2878), Regensburg 2018.
Hartmut Scholz, Die Glasmalereien des Mittelalters und der Frühen Neuzeit in Nürnberg: Lorenzer Stadtseite (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland X,3), 2 Bde., Berlin 2019, I, S. 488–578, II, S. 644–653 (Regesten) und Abb. 509–548
Chor
Sechs von neun Chorfenstern – die Fenster I, n II, s II, n III, s III und s V – bewahren ihre ursprüngliche Farbverglasung aus der Zeit der Chorweihe um 1385/90. Im Fenster s IV sind Reste der Verglasung aus dem Langhaus-Obergaden und einem weiteren Langhausfenster zusammengestellt, die der Zeit um 1420/30 angehören.
Zugehörige Fenster
- Fenster I (Waldstromer-Fenster)
- Fenster n II (Groß-Fenster)
- Fenster s II (Stromer-Fenster)
- Fenster n III (Rieter-Fenster)
- Fenster s III (Behaim-Fenster)
- Fenster s IV (Depotfenster)
- Fenster s V (Ottnandt-Fenster)
Langhaus
In den östlichen Stirnfenstern des nördlichen und südlichen Seitenschiffs sind Glasmalereien der Zeit um 1410 erhalten. Die ehemals in den Obergadenfenstern und im Fenster südwest II der Fassade befindlichen Glasgemälde aus der Zeit um 1420/30 wurden als Lückenfüller in den Chorfenstern verwendet, vor allem im dortigen Fenster s IV.