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Langhaus, Fenster s VI (Marthafenster), Gesamtansicht

Gesamtansicht

                                                                                         

Erhaltungsschema

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Beschreibung

In einem Aquarell von Georg Eberlein aus dem 19. Jahrhundert ist noch die Wappenzeile des Fensters überliefert (Scholz 2019, I, Fig. 823), wonach es sich um eine Gemeinschaftsstiftung der langjährigen Handelspartner Friedrich II. Kress († 1406) und Heinrich I. Rummel (um 1340–1417) gehandelt zu haben scheint. Beide teilten sich das Haus am Obstmarkt und beide waren über ihre Ehefrauen, die Schwestern Margarete und Kunigunde Kopf, verschwägert. Allerdings hatten sie ihre geschäftliche Beziehung bereits 1388, also Jahre vor der Stiftung des Fensters, aufgelöst. Das zweite von Eberlein überlieferte Rummel-Wappen dürfte sich auf den Bruder Heinrichs, Wilhelm I. (um 1350–1425) bezogen haben.

Das Fenster, das heute als Depot für Glasgemälde unterschiedlicher Provenienzen und Zeiten dient, war ursprünglich der Legende der Titelheiligen Martha sowie deren Geschwister Magdalena und Lazarus gewidmet. Ihnen war auch der benachbarte Seitenaltar geweiht.

Von den ehemals 12 oder 15 szenischen Feldern sind noch neun erhalten. Sie sitzen sogar noch an derselben Stelle, wo Eberlein sie Mitte des 19. Jahrhunderts festgehalten hat. Bereits damals war die zweite Zeile mit den Heiligen Christophorus (2a) und Leonhard (2c) besetzt, die zwar in keinerlei Bezug zur Martha-Legende stehen, dafür aber im Reliquienschatz der Kirche vertreten waren. Das Feld 2b dazwischen war auch schon damals mit einer Rechteckscheibe des frühen 16. Jahrhunderts aus der Hirsvogel-Werkstatt gefüllt, welche die Heiligen Katharina und Barbara mit vier kleinen Wappenschilden der Allianzen Kress/Löffelholz und Kress/Rieter zeigt. Die damals noch vollständig erhaltene unterste Zeile mit Wappen ist mit unbekanntem Verbleib abgegangen und wird heute durch drei weibliche Heilige aus dem Langhaus-Obergaden – Barbara (1a), Katharina (1b) und Klara (1c) – besetzt. Die von Eberlein festgehaltenen Leerstellen 3b, 5b und 6b wurden mit Standfiguren der Heiligen Dorothea (3b), Martha (5b) und Hieronymus (6b), ebenfalls aus dem Langhaus-Obergaden, gefüllt.

Die Erzählung der Legende der Titelheiligen beginnt auf der Grundlage der Evangelientexte in der obersten Zeile mit der vorgezogenen Auferweckung des Lazarus (Johannes 11,1–44), im Beisein von Martha und Magdalena (6a). Ihr folgt das fragmentierte, das heißt heute auf ein Feld reduzierte Gastmahl in Bethanien (Lukas 10,38–42) (6c); die zentrale Szene, die Martha als sorgende Wirtin des Hauses und Magdalena als Zuhörerin zu Füßen Christi gezeigt haben dürfte, ist verloren. Von Zeile 5 an folgen die in der Legenda aurea gesammelten Ereignisse, angefangen mit der Predigt Marthas auf den Mauern einer Stadt (Avignon), auch hier ohne das verlorene rechte Feld (5a/b), gefolgt von der durch das Gebet der Heiligen verursachten wundersamen Auferweckung eines in der Rhône ertrunkenen Jünglings (5c). Die nächste Zeile scheint komplett zu sein und zeigt links, auf zwei Felder ausgedehnt, wie Martha den Drachen von Tarascon bezwang, von den Bewohnern der Stadt Arles aufmerksam registriert und von hinzueilenden Bewaffneten assistiert (4a/b), rechts die Heilung einer besessenen jungen Frau (4c). In Zeile 3 werden Tod und Begräbnis der Heiligen geschildert, beide Male im Beisein Christi. Das linke Bild zeigt Martha auf dem Sterbelager, als Christus erscheint, um die Seele der Sterbenden in Empfang zu nehmen und vor der Schar böser Geister, die sich nach dem Verlöschen der Lampen zeigten, zu beschützen (3a). Das rechte Bild bringt den Abschluss des Zyklus mit dem von Christus eigenhändig vollzogenen Begräbnis Marthas; ihr Selbstverständnis als die Wirtin des Herrn, das in der Legenda aurea mehrfach hervorgehoben wird, ist nochmals durch die Inschrift auf dem Sargdeckel, in deutscher Mundart, zum Ausdruck gebracht: hir ٠ ligt ٠ martha ٠ mei(n) Wir/tin (3c).

Nirgendwo sonst in der Nürnberger Glasmalerei der Zeit zeigt sich die Nähe zu den ältesten Fenstern des Ulmer Münsterchores, eines der prominentesten, künstlerisch überragenden Schulwerke der Nürnberger Großproduktion, deutlicher als in den Restscheiben des Marthazyklus. Wenn auch über die zeitliche Abfolge beider Werke um 1405/10 keine endgültige Klarheit zu gewinnen ist, so steht doch außer Zweifel, dass hier wie dort dieselben maßgeblichen Kräfte das Bild bestimmten.

Als Terminus ante quem der Fensterstiftung darf mit Blick auf die von Georg Eberlein überlieferte Wappenzeile – analog zum Schürstab-Fenster – das Jahr 1406 festgehalten werden, in dem der Mitstifter des Fensters, Friedrich II. Kress, gestorben ist. Mit der Ausführung musste indes wohl noch solange gewartet werden, bis die baulichen Voraussetzungen im Langhaus geschaffen waren.

Nürnberg, um 1410.

Einzelscheiben und Scheibengruppen:

6a: Auferweckung des Lazarus

6b: Hl. Hieronymus

6c: Gastmahl bei Martha und Maria

5a: Predigt der Hl. Martha

5b: Hl. Martha

5c: Martha erweckt einen in der Rhône ertrunkenen Jüngling wieder zum Leben

4a/b: Martha besiegt den Drachen von Tarascon

4c: Martha heilt eine Besessene

3a: Tod der Hl. Martha

3b: Hl. Dorothea

3c: Begräbnis der Hl. Martha

2a: Hl. Christophorus

2b: Hll. Katharina und Barbara

2c: Hl. Leonhard

1a: Hl. Barbara

1b: Hl. Katharina

1c: Hl. Klara