Friedberg, Stadtkirche Unserer Lieben Frau
Einführung zum Standort
Mit mehr als 70 in situ erhaltenen Glasgemälden aus dem 14. und 15. Jahrhundert zählt die Stadtkirche in Friedberg in der Wetterau − neben der Kirche St. Leonhard in Frankfurt am Main, der Elisabethkirche in Marburg und der ehemaligen Zisterzienser-Klosterkirche Haina – quantitativ zu den bedeutendsten Glasmalereistandorten in Hessen1. Ein singulärer Rang als Standort kommt Friedberg aufgrund der erhaltenen Quellen zu, in denen die Neuverglasung des Chors im späten 15. Jahrhundert in allen Details dokumentiert ist2.
Die unter dem Patronat des Reichs stehende, der Jungfrau Maria geweihte Kirche wurde ab ca. 1260 bis zum erzwungenen Baustopp 1410 anstelle eines romanischen Vorgängerbaus als dreischiffige, sechsjochige Halle mit einem kleinen 5/8-Chor, einem geräumigen Querhaus und einer Doppelturmfront im Westen errichtet. Während Chor und Querhaus im Jahr 1306, als der Hochaltar und ein weiterer Altar geweiht wurden, fertiggestellt gewesen sein dürften, zogen sich der Bau des Langhauses und der Bau der Westteile bis weit in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts und noch bis in das frühe 15. Jahrhundert hin, ohne dass die Türme vollendet werden konnten3.
Im Innern der Kirche wurde zunächst um 1430/40 das bestehende ältere Altarziborium zwischen den westlichen Querhauspfeilern zu einem Lettner erweitert4, der den Chor mit seiner liturgisch-künstlerischen Ausstattung – namentlich dem Hochaltarretabel von 1365/70 (Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. GK 1)5 – neu definierte und inszenierte.
Darauf folgte 1476−1481 die – nachweislich nur partielle – Neuverglasung der Chorfenster, 1482 die Neuweihe des zwischenzeitlich niedergelegten Hochaltars (mit dem alten Retabel von 1365/70) und 1482−1484 die Erneuerung des Sakramentshauses durch den Bildhauer Hans von Düren6.
Unter den zahlreich belegten Reparatur- und Änderungsmaßnahmen an Bau und Ausstattung in nachmittelalterlicher Zeit ist insbesondere die baulich aufwändige Renovierung von Chor und Querhaus in den Jahren 1896−1901 zu erwähnen, in deren Zusammenhang die Fenster durch die Werkstatt Linnemann in Frankfurt am Main restauriert und neu geordnet wurden (1891 und 1899/1900).
Literatur:
Daniel Hess, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Frankfurt und im Rhein-Main-Gebiet (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland III,2), Berlin 1999, S. 169−212, Abb. 121−169
Uwe Gast, Die Chorverglasung der Stadtkirche in Friedberg im 14. und 15. Jahrhundert. Rekonstruktion, Programm und programmatische Änderungen, in: Die gebrauchte Kirche. Symposium und Vortragsreihe anlässlich des Jubiläums der Hochaltarweihe der Stadtkirche Unserer Lieben Frau in Friedberg (Hessen) 1306−2006, hrsg. von Norbert Nußbaum (Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen 15), Stuttgart 2010, S. 55−74
Chor
Fünf dreibahnige, bis zu 14 Zeilen hohe Fenster geben dem Chor der Friedberger Stadtkirche Licht. Von einer jüngeren, 1958/59 von der Werkstatt Matheis durchgeführten Restaurierung der Chorfenster und deren Schutzverglasung 1997 abgesehen, erscheint der mittelalterliche Bestand nach wie vor in der Ordnung, die er 1901 beim Einbau in den renovierten Bau erhielt: als Konglomerat von Scheiben des frühen 14. und des späten 15. Jahrhunderts, verteilt auf die Fenster I, n II und s II, wobei die älteren Ornamentscheiben die unteren vier bzw. fünf Zeilen, die jüngeren Figuren- und Architekturscheiben die oberen neun bzw. zehn Zeilen und die Maßwerkcouronnements besetzen. Diese Ordnung entspricht sehr wahrscheinlich schon der Situation im Spätmittelalter, als die alte Chorverglasung von ca. 1306 oder aus dem zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts − ihre Datierung ist in der Forschung nicht unumstritten7 – in den Jahren 1476−1481 in Teilen erneuert wurde.
In Teilen erneuert heißt, dass damals nur die vom Kirchenschiff aus sichtbaren mittleren Chorfenster I, n II und s II neu gestaltet wurden, während die seitlichen – 1824 vermauerten – Chorfenster n III und s III ihre ursprüngliche hochmittelalterliche helle Ornamentverglasung zur Beleuchtung des Hochaltarretabels behielten. Vermutlich wurden aber auch die mittleren Chorfenster nicht vollständig erneuert. Es spricht einiges dafür, dass sie nur in ihren oberen, über die Lettnerbrüstung hinweg sichtbaren Partien mit einem Bildprogramm aus Kirchenväterbüsten und Heiligenstandfiguren unter und in Architekturbekrönungen versehen wurden. Als dafür verantwortliche Künstler können dank der erhaltenen Kirchenrechnungen der in Friedberg ansässige Maler Henritz Heyl, der die Entwürfe zu den Fenstern lieferte, sowie als ausführende Glasmaler der ebenfalls in Friedberg ansässige Konrad Rule († 1477) und ab 1478 ein anderer Meister Konrad, vermutlich der in Frankfurt am Main und in Mainz nachweisbare Konrad von Schotten, namhaft gemacht werden. Mit Letzterem ist insbesondere das Fenster n II zu verbinden, das um 1480/81 von Frankfurt nach Friedberg geliefert wurde. Bei den beiden anderen, um 1476−1479 in Friedberg geschaffenen Fenstern I und s II sind die Anteile der an ihnen tätigen Glasmaler nicht klar zu trennen.
Zugehörige Fenster
- Fenster I (Ornamentfelder, Heilige)
- Fenster n II (Ornamentfelder, Heilige)
- Fenster s II (Ornamentfelder, Heilige)
Sakristei
Die Sakristei ist ein Neubau aus den frühen 1960er-Jahren. In ihr wird seit 1964 ein Vierpass mit einer Darstellung des Weltgerichts aufbewahrt, der aus dem Maßwerk des nordöstlichen Querhausfensters stammt (Fenster n IV).
Zugehörige Fenster
- In Museumsbesitz übergegangene Glasgemälde aus Friedberg und verlorene, aber fotografisch dokumentierte Scheiben werden hier nicht erfasst. Siehe hierzu: Hess 1999, S. 185, 187−189, 212; ergänzend Gast 2010, S. 59.»
- Hermann Roth, Der Maler Henritz Heyl und die spätgotischen Glasmalereien in der Pfarrkirche zu Friedberg/Hessen in urkundlichen Nachrichten, in: Mitteilungen des Oberhessischen Geschichtsvereins N. F. 44, 1960, S. 82−114.»
- Grundlegend: Hartmut Seeliger, Die Stadtkirche in Friedberg in Hessen. Ein Beitrag zur Geschichte der gotischen Baukunst in Hessen und am Mittelrhein, in: Archiv für hessische Geschichte und Altertumskunde N. F. 27, Heft 1/2, 1961/62, S. 1−118. Siehe auch: Marc C. Schurr, Gotische Architektur im mittleren Europa 1220−1340. Von Metz bis Wien, München/Berlin 2007, S. 253−256, 303.»
- Monika Schmelzer, Der mittelalterliche Lettner im deutschsprachigen Raum. Typologie und Funktion (Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 33), Petersberg 2004, S. 57−60, 177.»
- Uwe Gast, Der Große Friedberger Altar und der Stilwandel am Mittelrhein nach der Mitte des 14. Jahrhunderts (Neue Forschungen zur deutschen Kunst I), Berlin 1998; Hilja Droste, Der Große Friedberger Altar, in: Mittelalterliche Retabel in Hessen, Bd. 2: Werke, Kontexte, Ensembles, hrsg. von Ulrich Schütte u. a., Petersberg 2019, S. 188−195.»
- Hierzu zuletzt: Achim Timmermann, Hans von Düren’s sacrament house (1482−1484) and the artistic mediation of eucharistic real presence, in: Die gebrauchte Kirche. Symposium und Vortragsreihe anlässlich des Jubiläums der Hochaltarweihe der Stadtkirche Unserer Lieben Frau in Friedberg (Hessen) 1306−2006, hrsg. von Norbert Nußbaum (Arbeitshefte des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen 15), Stuttgart 2010, S. 75−82.»
- Vgl. Hess 1999, S. 181, und Gast 2010, S. 64−67.»