← zurück zum Standort Ravensburg, Liebfrauenkirche
Chor, Fenster n II, Gesamtansicht
Gesamtansicht
Erhaltungsschema
Beschreibung
Das Bildprogramm des sogenannten Apostelfensters stellt in sechs großen Medaillons, die lediglich durch den Farbwechsel von Rot und Blau in den Hintergründen rhythmisiert werden, die Unterweisung und Auslegung des apostolischen Glaubensbekenntnisses dar (Credo bzw. Symbolum Apostolicum1). Die Überlieferung von der Aufteilung der zwölf Artikel des Glaubensbekenntnisses auf die zwölf Apostel geht auf zwei Predigten des 6. Jahrhunderts zurück, die lange Zeit irrtümlich dem Kirchenvater Augustinus zugeschrieben wurden (Sermo 240 und 241). Danach sollen die Apostel, ehe sie Abschied nahmen, um das Evangelium in allen Sprachen in die Welt hinauszutragen, sich der rechten Verkündigung vergewissert und diese in einer kurzen Glaubensregel zusammengestellt haben. So soll jeder Apostel, erfüllt vom Heiligen Geist, einen Glaubenssatz zum Credo beigetragen haben.
„Dem Credo kommt als Festschreibung der zentralen Glaubensinhalte eine wichtige Rolle zu: Gesprochen wird es während der Messfeier und bei der Taufe; vielfach auch, um Sterbende im Angesicht des Todes im Glauben zu stärken“2.
Obwohl die Zuschreibung der einzelnen Glaubensartikel an bestimmte Apostel im Lauf der Zeit Schwankungen unterworfen war, lässt sich unter den spätmittelalterlichen Text- und Bildbeispielen eine gewisse Konstanz, wenn auch keine Verbindlichkeit in der Abfolge der Apostel beobachten. Es lässt sich feststellen, dass Petrus, Andreas, Jakobus der Ältere und Johannes in der Regel am Anfang stehen und der letzte Artikel stets von Matthias präsentiert wird.
Konzeptionell steht das Ravensburger Fenster in einer offenbar im 13. Jahrhundert gebildeten Tradition, in der in einer typologischen Ausweitung des Credo den Aposteln mit ihren Glaubensartikeln alttestamentliche Propheten mit Weissagungen zugeordnet sind, was zuerst in Handschriften in Form von Baumdiagrammen verbildlicht wurde3. Es ist möglich, dass der Entwerfer des Bildprogramms sich auf ein solches Diagramm zum Credo gestützt hat, wenn ihm nicht ein älteres Vorbild aus dem Bereich der Bildkünste zur Verfügung stand.
Das Bildprogramm mit den jeweils paarweise angeordneten zwölf Aposteln und den ihnen zugeordneten Propheten weist einige Besonderheiten auf: In vier Fällen stimmen die Namen der auf den Medaillonrahmen genannten Apostel nicht mit den Darstellungen überein (3/4b: Jakobus der Jüngere wird genannt, dargestellt ist aber Jakobus der Ältere; 5/6b: Jakobus der Ältere wird genannt, dargestellt ist Jakobus der Jüngere; 7/8a: Anstelle von Thomas erscheint Judas Thaddäus; 11/12a: anstelle von „Simon Judas“ [Judas Thaddäus] Thomas); in zwei Fällen weicht die Auswahl der Propheten von der herkömmlichen Text-Bild-Tradition auffallend ab, nämlich bei Daniel in 4/5b und beim Evangelisten Matthäus in 8/9b. Erstaunlicherweise war die ungewöhnliche, in Ravensburg vielleicht ursprünglich intendierte Abfolge der Apostel von Johannes über Jakobus den Jüngeren, Philippus, Jakobus den Älteren und Thomas bis zu Bartholomäus exakt so auch in dem Credo-Zyklus des sogenannten Ulmer Hochaltars dargestellt, eines nur in Teilen erhaltenen Retabels von 1410/20, das tatsächlich aus der Pfarrkirche in Saulgau gestammt haben dürfte, etwa 30 Kilometer von Ravensburg entfernt4; dort war zudem – ebenfalls wie in Ravensburg – der Prophet Daniel bei Jakobus dem Jüngeren (Stuttgart, Staatsgalerie, Inv. Nr. 2682) und Thomas mit dem falschen Attribut der Keule (Stuttgart, Staatsgalerie, Inv. Nr. 2686) dargestellt. Auf diesem Retabel standen sich die Apostel allerdings nicht gegenüber, sondern waren im Gestus des Gesprächs (oder der Disputation) mit ihren Propheten gezeigt, während die Propheten in Ravensburg nur als Zwickelfiguren zwischen den Medaillons erscheinen.
Die Erhaltungsschemata geben den Stand von 1986 wieder; eine jüngere Restaurierung, die im Zuge der Kirchenrenovierung 2010/11 von der Firma Rothkegel in Würzburg durchgeführt wurde, ist nicht erfasst.
Einzelscheiben und Scheibengruppen:
1/2a/b: Hll. Petrus und Andreas / Propheten
3/4a/b: Hll. Johannes und Jakobus der Ältere / Propheten
5/6a/b: Hll. Philippus und Jakobus der Jüngere / Propheten
7/8a/b: Hll. Judas Thaddäus und Bartholomäus / Propheten
- S. Henk W. van Os, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 1, Rom u. a. 1968, Sp. 461–464.»
- Andrea Worm, Geschichte und Weltordnung. Graphische Modelle von Zeit und Raum in Universalchroniken vor 1500, Berlin 2021, S. 209.»
- S. Worm 2021, S. 209f., z. B. im Psalter des Robert de Lisle, London, British Library, Arundel MS 83, II, fol. 128r.»
- S. Itzel 2000.»