Hadmersleben, ehem. Benediktinerinnenklosterkirche St. Peter und Paul
Einführung zum Standort
Das 961 vom Halberstädter Bischof Bernhard gestiftete Kanonissenstift Hadmersleben war neben den Reichsstiften Quedlinburg (gegr. 936) und Gernrode (gegr. 959) einer von insgesamt vierzehn Frauenkonventen, die in ottonischer Zeit durch Angehörige der sächsischen Herrscherfamilie und des Adels auf dem Gebiet des ältesten sächsischen Bistums Halberstadt gegründet wurden. 1108 wurde der Konvent in ein Benediktinerinnenkloster umgewandelt.
Teile der heutigen Kirche St. Peter und Paul wurden im 12. Jahrhundert erbaut, darunter die heutige Unterkirche mit Resten eines älteren Vorgängerbaus. Im 13. Jahrhundert erfolgte eine Erneuerung des Langhauses und der Einbau einer Nonnenempore sowie um 1300 der Neubau des Chores. Um 1700 wurde das Kircheninnere barockisiert.
1809 wurde das Kloster säkularisiert und ging in Privatbesitz über. Nach 1945 wurde es verstaatlicht, heute befinden sich dort eine Schule, ein Museum und weitere Einrichtungen.
Von der mittelalterlichen Verglasung der ehemaligen Klosterkirche haben sich vierzehn Felder vor Ort und ein Feld im Bremer Ludwig Roselius Museum erhalten. Sie haben mehrheitlich übereinstimmende Maße, jedoch hinterließen Umsetzungen bei einigen Scheiben im oberen und unteren Bereich Spuren in Form von Beschnitt und Anstückungen. Alle Felder weisen neuzeitliche Ergänzungen auf, aber auch einen relativ hohen Anteil mittelalterlichen Glases.
Literatur:Cornelia Aman / Ute Bednarz / Maria Deiters / Markus Leo Mock / Juliane Schirr / Martina Voigt, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Sachsen-Anhalt Süd (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland XIX,5), Berlin 2021, I, S. 179–224, Abb. 48–76.
Chor
In den drei südlichen Fensteröffnungen des Chores sind seit 1996 vierzehn mittelalterliche Glasmalereifelder innen vor einer blanken Rautenverglasung in die abgeschrägten Fenstergewände gesetzt.
Die Fenster süd III und süd V enthalten jeweils sechs Felder, die paarig in drei Zeilen angeordnet sind. In Fenster süd IV stehen zwei mittelalterliche Felder und eine Wappenscheibe des postulierten Halberstädter Bischofs Herzog Heinrich Julius von Braunschweig und Lüneburg (1564–1613) übereinander, integriert in einen 1996 angefertigten grüntonigen Rautenverband, den Blattbordüren nach dem Vorbild der mittelalterlichen Originale begrenzen.
Die Darstellungen der um 1320 entstandenen Hadmerslebener Glasmalereien sind teils ungewöhnlich und auf die Liturgie und das Selbstverständnis eines Frauenklosters abgestimmt. Maße, Bildprogramm und historische Überlieferung sprechen für die ursprüngliche Anordnung der Glasmalereien in den drei Ostfenstern des Chores, wo sie bis 1941 angebracht waren.
Seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts waren die Glasmalereien dort von einer barocken Altarwand verdeckt. Wie aus Quellen hervorgeht, wurden im 19. Jahrhundert die Überreste der stark beschädigten Fenster im mittleren Ostfenster zusammengefasst. 1874 und 1934 wurden sie restauriert, 1941 zur Sicherung vor Kriegsschäden eingelagert und 1955 in der Magdeburger Propsteikirche St. Sebastian eingebaut. Erst 1996 gelangten sie nach Hadmersleben zurück und wurden in der heutigen Anordnung montiert.
Nach der Ornamentik ihrer Randbordüren, der Hintergrundfarbigkeit und den Architekturformen lassen sich drei Scheibengruppen unterscheiden: Die umfangreichste Gruppe besteht aus acht Szenen eines Passionszyklus (s III, 2/3a/b; s IV, 3; s V, 2b, 3a/b), den Propheten Habakuk (s V, 1a) und David (s V, 1b) sowie einer Kopfscheibe (s IV, 4). Zu einer zweiten Scheibengruppe gehören der Prophet Daniel (s III, 1a), die Enthauptung des Apostels Paulus (s V, 2a) sowie die Pauluspredigt (Ludwig Roselius Museum, Inv. Nr. B 1672). Aus einer dritten Scheibengruppe stammt ein Prophet mit verballhorntem Schriftband (s III, 1b).
Die Glasmalereien sind durch die Kunst des frühen 14. Jahrhunderts in Regionen des heutigen Niedersachsen geprägt, zeigen aber auch aktuelle Eindrücke der Pariser Hofkunst. Eventuell war die Glasmalereiwerkstatt zumindest zeitweise in Halberstadt ansässig. Als Stifter der Glasmalereien kommen Angehörige des Konvents, dort angesiedelte Kleriker, aber auch der Halberstädter Bischof Albrecht I. in Frage.
Zugehörige Fenster
Bremen, Ludwig Roselius Museum
1838 untersagte die Königliche Regierung in Magdeburg dem damaligen Gutsbesitzer August Wilhelm Honig die Herausnahme von Glasmalereien aus der Kirche, da sie laut Kaufvertrag über das Klostergut „von der Disposition des Käufers ausgeschlossen“ seien. Es war jedoch zuvor bereits zu einem Verkauf von Glasmalereien gekommen. Eventuell gehörte hierzu die 1931 aus dem Kunsthandel in das Ludwig-Roselius-Museum gelangte Scheibe mit der Predigt des Paulus.
Der Kaffeehändler Roselius hatte 1928 seine Kunstsammlung, die auch historische Möbelstücke umfasste, öffentlich zugänglich gemacht. Sie wurde in ‘period rooms’ präsentiert, also in nach Epochen geordneten Räumen, die jeweils Kunst und Kunsthandwerk eines Zeitalters vereinten. Nach dem Erwerb der Hadmerslebener Scheibe wurde sie 1934 mit weiteren Scheiben zusammengefügt und kurz darauf in ein Fenster im sogenannten “Gotischen Raum” eingebaut. Das Wappen der Herzöge von Kleve und der Mark im unteren Teil des Fensters stammt aus der Liebfrauenkirche in Arnstadt, für die Herkunft der oberen Scheibe mit einem Thronenden Christus (vermutlich als Teil einer Wurzel-Jesse-Darstellung) fehlt ein archivalischer Nachweis.