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Tübingen, Stiftskirche

Einführung zum Standort

Tübingen, Stiftskirche, Ansicht des Chors von Südosten (CVMA Deutschland/Freiburg i. Br., Foto: Hartmut Scholz / CC BY-NC 4.0)

Zusammengezogen in vier Fenstern des Chores bewahrt die Tübinger Stiftskirche noch umfangreiche Reste ihrer ehemals auf acht Chorfenster, die Fenster der Nikolauskapelle und die Fenster des Langhauses verteilten partiellen Farbverglasung aus den Jahren 1476 bis um 1479/80. Mit diesem Restbestand von 138 Scheiben besitzt Tübingen nach dem Ulmer Münster den quantitativ wie qualitativ bedeutendsten Glasmalereibestand, der im schwäbischen Raum erhalten geblieben ist, und repräsentiert auf seltene Weise den mit dem Haus der Grafen von Württemberg-Urach assoziierten adeligen Personenkreis, der durch verwandtschaftliche wie kirchenpolitische Beziehungen mit dem Bau verbunden war.

Die mit den Patrozinien des Hl. Georg, der Muttergottes und des Hl. Martin verbundene Stiftskirche ist – bis auf den im frühen 15. Jahrhundert errichteten Westturm – ein in erstaunlich kurzer Zeit, von 1470 bis 1489 errichteter, das Stadtbild prägender spätgotischer Bau von stattlichen Ausmaßen1. 1470 wurde laut Inschrift am südöstlichen Strebepfeiler der Grundstein zu dem feingliedrigen Chorbau gelegt, der sich auf drei querrechteckige Joche und einen weit gespannten 5/8-Schluss erstreckt. Im Süden schließt sich eine ursprünglich nur vom Chor aus zugängliche, ehemals den Hll. Sebastian und Nikolaus geweihte Kapelle an, aus der ebenfalls Glasgemälde erhalten sind. 1476 müssen Chor und Kapelle fertiggestellt gewesen sein, da sowohl die Fensterstiftung des Hans von Bubenhofen, Landhofmeister des Grafen Eberhard V. von Württemberg-Urach (Eberhard im Bart), in besagter Kapelle, als auch die päpstliche Bulle, mit der die Verlegung des Sindelfinger Chorherrenstifts nach Tübingen genehmigt worden war, dieses Datum trägt2. Treibende Kraft des Kirchenbaus war Graf Eberhard im Bart selbst. Davon zeugt nicht nur sein und seiner Ehefrau Allianzwappen am Chorgewölbe, sondern vor allem auch seine Fensterstiftung am hochrangigen Fensterplatz in der Chorachse. Vorübergehend diente der Chor auch als Aula der von Eberhard am 11. März 1477 gegründeten Tübinger Universität. Im Jahr darauf wurde – laut Inschrift auf der Südseite – der Langhausbau als dreischiffige, sechsjochige Staffelhalle in Angriff genommen und 1489 mit einer provisorischen Holzdecke zum Abschluss gebracht.

Literatur:

Rüdiger Becksmann, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Schwaben von 1350 bis 1520 ohne Ulm (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland I,2), Berlin 1986, S. 257–316

Rüdiger Becksmann, Scheiben und Fragmente aus der Chorverglasung der Tübinger Stiftskirche, in:Bilder aus Licht und Farbe. Meisterwerke spätgotischer Glasmalerei. „Straßburger Fenster“ in Ulm und ihr künstlerisches Umfeld, Ausst.-Kat. Ulmer Museum, Ulm 1995, S. 134–145

Das Haus Württemberg. Ein biographisches Lexikon, hrsg. von Sönke Lorenz, Dieter Mertens und Volker Press (†), Stuttgart/Berlin/Köln 1997

Zugehörige Fenster

Grundriss

                             

Lage des Standorts

  1. Zuletzt: Oliver Auge, in: Handbuch der Stiftskirchen in Baden-Württemberg, hrsg. von Sönke Lorenz (†), Oliver Auge und Sigrid Hirbodian, Ostfildern 2019, S. 639–642. Auge nennt die Jahre 1490/91 als Datum der Vollendung (S. 641).»
  2. Das Dachwerk des Chores lässt sich dendrochronologisch 1473/74 datieren; Tilmann Marstaller / Andreas Stiene, Die Dachwerke über Chor und Langhaus der Tübinger Stiftskirche, in: Denkmalpflege in Baden-Württemberg 35, 2006, S. 78–86.»
  3. Becksmann 1986, S. 265–271 mit Taf. XXI–XXIV.»
  4. Becksmann 1986, S. 274–278.»