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Chor, Fenster I, Sieben Scheiben aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (I, 6b, 7/8a–c)

Detailansicht

Erhaltungsschema

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Beschreibung

Inschriften: Der Text auf den beiden Flickstücken am oberen rechten Rand in Feld 6b ist so gut wie unleserlich, zu entziffern sind lediglich die in gotischer Minuskel ausgeführten Buchstaben s(anctus) bo[..] auf den rechten Scherben. Die Borte im Gewand Davids enthält Phantasiebuchstaben.
In gotischer Minuskel in den Nimben in Feld 7a: [...] apollonia ora […] und in Feld 7c: Sanctus andreas.

Die Darstellungen zeigen sechs Heilige und zwei Wappen tragende Engel. Sie sind wohl gemeinsam einem Fenster zuzuordnen, das sich vermutlich in der Chorachse – also an der heutigen Stelle – befand und Heilige und Propheten in einer Nischen- und Baldachinarchitektur zeigte. Sie könnten sich zu einem Allerheiligenzyklus zusammengefügt haben. Erhaltene Wappen lassen vermuten, dass das Fenster auf eine Stiftung Stephan Bodeckers zurückgeht, der 38 Jahre lang, von 1421 bis 1459, Bischof von Brandenburg war. Die Schenkung des prominenten Chorscheitelfensters legt Zeugnis davon ab, dass er am Neubau des Chores, der während seiner Amtszeit errichtet wurde, regen Anteil nahm und ihn nach Kräften unterstützte.

Die künstlerisch und technisch äußerst qualitätvollen Glasmalereien sind dem Oeuvre der sogenannten Altmark-Werkstatt zuzuordnen. Sie schuf 1460/70 neben Brandenburg noch weitere prominente Verglasungen in der Wallfahrtskirche St. Nikolaus in Bad Wilsnack, im Dom und in der Jakobikirche in Stendal sowie 1467 für die Johanniterkirche in Werben. Die gemeinsame Herkunft der Glasmalereien zeigt sich an dem über Jahre hinweg einheitlichen Stil, an den immer wiederkehrenden Figuren- und Kopftypen, den gleich bleibenden Formeln für Augen, Nase und Mund, den aus immer denselben Versatzstücken zusammengesetzten Bildräumen. Dazu kommt der stets ähnliche Dekor von Kapitellen, Fliesen und Kassettendecken. All dies weist auf die Routine einer größeren Werkstatt hin, die ein festes Repertoire besaß, sich eines Musterbuches bediente und deren rationell organisierte Arbeitsweise eine gleich bleibende künstlerische Qualität garantierte. Dass sie auch in technischer Hinsicht auf der Höhe der Zeit stand, belegt etwa der Einsatz von Eisenrot als zweiter Malfarbe neben Silbergelb.

Anhaltspunkte für die Datierung bieten sich mit dem Tod Stephan Bodeckers am 15. Februar 1459 und der mutmaßlichen Vollendung des Chorneubaus gegen 1464 an. Demnach dürfte das Fenster Anfang der 1460er Jahre, spätestens aber 1465 entstanden sein.

Die beiden Felder mit den wappentragenden Engeln in einer von Pfeilern gerahmten Nische dürften aufgrund ihrer Ähnlichkeit in einem engen Zusammenhang stehen, obgleich nur eines als das Wappen des Bistums Brandenburg, das zwei überkreuzte silberne Schlüssel in Rot zeigt (8c), identifiziert werden kann. Das unbekannte Wappen des linken Glasmalereifeldes zeigt einen roten, schlichten Kerzenleuchter auf Gold (8a): Der auf drei Beinen ruhende mit einem Bogenfries verzierte Fuß geht in einen trichterförmig gezogenen Schaft mit einem kugeligen Nodus in der Mitte über. Auf dem Traufteller sitzen rechts und wohl auch links eine Tülle für sprödere Talgkerzen und in der Mitte ein Dorn für Wachskerzen. Zusammen mit dem Emblem des Leuchters, das ähnlich auch auf dem Grabstein Bodeckers begegnet, kann das Bistumswappen im Grunde nur auf Bischof Stephan Bodecker bezogen werden, der sich dadurch als Stifter des Fenster erweist. Es wäre gut vorstellbar, dass sich zwischen den beiden Engeln in der mittleren Fensterbahn ursprünglich sein Bildnis befand, das ihn vielleicht kniend als Adorant oder mit betend erhobenen Händen um Fürbitte flehend zeigte.
An dieser Position befindet sich in der heutigen Anordnung die Darstellung einer hl. Anna Selbdritt (8b). Anna sitzt halb nach links gerichtet und hält, ein wenig an sie geschmiegt, die kindlich kleine gekrönte Maria auf ihrem Schoß. Beide bilden einen schützenden Rahmen und einen lebendigen Thron für den Jesusknaben, der zwischen ihnen in der Bildachse auf den Knien Marias hockt. Sie betrachten ihn mit liebevollen Blicken und halten ihn fürsorglich fest, während er scheinbar unbefangen mit einer Rassel spielt. Das Spielzeug ist als Attribut vollkommen ungewöhnlich, doch gewiss nicht ohne Bedeutung. Seine Form als Haus mit stufenförmigen Giebeln erinnert an eine Kapelle und könnte daher als symbolischer Hinweis auf die von Christus eingesetzte Kirche verstanden worden sein. Vielleicht soll auch unter diesem Aspekt die Krone Marias auf ihre Bedeutung als Kirche und Braut Christi deuten. Die Verehrung der hl. Anna hatte in Brandenburg, wie auch andernorts, gegen Ende des 15. Jahrhunderts stark zugenommen. 1496 wurde in Brandenburg die St.-Annen-Gilde gegründet, die der Mutter Marias sogar eine eigene Kapelle errichtete.
In der sich darunter erstreckenden Fensterzeile begegnen uns drei Darstellungen von Heiligen in Architekturgehäusen. Die hl. Apollonia (7a) sitzt auf einem Thron, dessen Armlehnen mit geschnitzten Ranken verziert sind. Sie scheint aufmerksam in dem Buch zu lesen, das geöffnet auf ihrer Linken liegt, und hält dabei mit der Rechten ihr Attribut, die Zange mit einem Zahn, empor. Ihre Kleidung, ein weißes, am Hals gefälteltes Gewand ist ausgesprochen schlicht; einziger Schmuck ist das mit Perlen besetzte Schapel in ihrem blonden Haar, das in Wellen offen über ihren Rücken bis in die Taille herabfällt.
Die daneben befindliche Glasmalerei zeigt den hl. Sebastian (7b). Er trägt ein hellblaues hochgeschlossenes Gewand und einen am Hals geknöpften weißen Mantel. In der Rechten hält er sein Attribut, die Pfeile, und auf der Linken ein aufgeschlagenes Buch. Zweifel, ob die wenigen zum ursprünglichen Bestand des Glasgemäldes gehörenden Fragmente nicht die meist ebenfalls mit Pfeilen dargestellte hl. Ursula gezeigt hätten, werden durch das bis 1976 vorhandene sehr weite faltenreiche Oberteil des Gewandes und den wadenlangen, am Hals geknöpften Mantel widerlegt, der bei einer Frau höchst ungewöhnlich wäre. Zudem ist der hl. Sebastian, wenngleich sonst meist mit nacktem Oberkörper wiedergegeben, auch auf dem Allerheiligenaltar im Dommuseum bekleidet zu sehen.
Den Abschluss der Zeile bildet eine Darstellung des hl. Andreas (7c), der in die Lektüre eines Buches vertieft auf einer Bank ruht. Links neben ihm lehnt, fast ein wenig achtlos, sein Attribut, das Kreuz. Er trägt ein weißes Gewand und darüber einen blauen Mantel, den er lose um Hals und Schultern geschlungen hat. Er dürfte in den Allerheiligenzyklus zum Chor der Apostel gehört haben. Ansonsten wurde der Apostel im Dom besonders verehrt, er besaß einen eigenen Altar und sein Namenstag am 30. November wurde als Hochfest begangen.
Unterhalb der Zeile mit den drei Heiligen zeigt eine 1836 aus Bruchstücken verschiedener Glasmalereien zusammengesetzte Darstellung in einer von Pfeilern gerahmten Nische mit vorkragendem Baldachin nebeneinander David mit der Harfe und einen Ritterheiligen, vermutlich den hl. Mauritius (6b). Darauf deuten nicht nur seine Attribute, die hl. Lanze und das hier silbergelb hervorgehobene Kreuz auf dem Schild, sondern auch die recht ähnliche Darstellung des Märtyrers auf dem Allerheiligenaltar im Dommuseum. Die beiden Gestalten sind seitlich und an den Füßen beschnitten und waren ursprünglich wohl, wie die anderen Heiligen des Zyklus, jeweils einzeln dargestellt. Mauritius genoss als Patron des Erzstifts Magdeburg auch im Brandenburger Dom besondere Verehrung, sein Fest am 22. September wurde halbfestlich begangen. Seit 1334 besaß er einen eigenen Altar.

 

Einzelscheiben:

6b: Prophet David und hl. Mauritius

7a: Hl. Apollonia

7b: Hl. Sebastian

7c: Hl. Andreas

8a: Engel mit Wappenschild

8b: Hl. Anna Selbdritt

8c: Engel mit dem Wappen des Bistums Brandenburg

Zugehörige Aufnahmen im Bildarchiv