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Chor, Fenster I, Fünf Scheiben des späten 15. Jahrhunderts (I, 6a/c, 9a–c)

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Beschreibung

Inschriften: In gotischer Minuskel mit Versal in den Nimben in Feld 9a Sanctus pa(u)lus ٠oraprom und Sanctus petrus ٠o.

In den Zeilen 6 und 9 des Fensters I sind fünf Scheiben versammelt, die im späten 15. Jahrhundert von einer Werkstatt angefertigt und aus Resten diverser Glasmalereien zusammengesetzt wurden. Sie gehörten ursprünglich zu großformatigen Darstellungen, die wahrscheinlich Szenen aus dem Leben der Dompatrone Petrus und Paulus sowie mariologische Motive zeigten und sich über drei bis vier Bahnen beziehungsweise Zeilen erstreckten. Solche Bildformate könnten in den beiden vierbahnigen Fenstern der Querhausarme Platz gefunden haben. Diese Annahme erscheint auch baugeschichtlich plausibel, denn das Querhaus wurde 1464 erhöht.

Von den Figuren sind vor allem die Köpfe erhalten. Die Gesichter sind großflächig, breit und schwer, die Züge kompakt und fast derb, mit hohen Wangenknochen, vollen Lippen und kräftigen fleischigen Nasen. Charakteristisch sind der breite, durch zwei Linien markierte Nasenrücken, Tränensäcke, Krähenfüße und die mit einem runden Haken ansetzenden, im flachen Bogen über den Augen liegenden Brauen. Die Darstellungen stammen nicht alle von einer Hand, das mitunter recht hohe künstlerische Niveau zeigt sich beispielsweise an dem Fragment einer schön gezeichneten Hand mit vortretenden Adern (9b). Mit ihrer ausdrucksvollen Physiognomie entfernen sich die Köpfe von der um 1480 noch gebräuchlichen Typisierung und suchen den Eindruck individueller Charaktere zu erwecken, die zudem von bestimmten Gefühlen bewegt sind. Ähnlich ausdrucksstarke, auf Fernwirkung bedachte großformatige Gestalten begegnen im nördlichen Querhausfenster des Stendaler Domes, das um 1480/90 datiert wird. Darüber hinausgehende stilistische Bezüge sind jedoch nicht zu erkennen. Auch in der weiteren regionalen Umgebung findet sich nichts, was sich mit den Brandenburger Glasmalereien in eine nähere Verbindung bringen ließe.
Die Glasmalereien im Brandenburger Dom dürften um 1490 entstanden sein. Die Datierung wird durch einige zeittypische Details gestützt, wie die moderneren Teile der Rüstung – das kantige Kinnreff oder die Harnischbrust mit plastischem Mittelgrat und spitz ausgezogener Doppelschiftung (6c).

Unter den Glasmalereien befinden sich zwei Kopffragmente mit den Aposteln Petrus und Paulus (9a), die die Annahme zulassen, dass den Patronen des Domes vielleicht ein ganzes Fenster gewidmet war. Die Gesichter der Apostelfürsten stimmen stilistisch überein, ihre Nimben sind identisch und enthalten Fürbitteinschriften. Aus dem Schergen neben Paulus, der auf eine Gefangennahme oder ein Verhör des Heiligen schließen lässt, darf man folgern, dass es szenische Darstellungen enthielt.
Man ist versucht, in den traurigen Köpfen und betenden Händen (9c) sowie in der Greisengestalt (9b) Reste von Szenen mit dem Tod und der Krönung Marias zu sehen. Kopftyp der schräg nach rechts gewandten Greisenfigur mit langem weißen Bart, kaiserliche Bügelkrone mit dem noch sichtbaren Ansatz des Nimbus und das Szepter entsprechen der traditionellen Darstellung von Gottvater. Er könnte, wie die Ergänzung nahelegt, einen roten Mantel mit Hermelinbesatz getragen haben. Vorstellbar ist auch, dass er – obgleich die Linke ein Flickstück ist – seine Hand segnend erhoben hatte. Folgt man dieser Annahme, dürfte sich nach der gängigen Bildtradition von Marienkrönungen rechts Christus befunden haben und in der Mitte zwischen ihnen Maria, die königliche Braut. Die auf dieser Scheibe im Hintergrund befindlichen Fragmente mit der Ansicht einer mittelalterlichen Stadt stammen vermutlich aus einem anderen Feld.
In der Bildmitte der rechts neben der vermeintlichen Gestalt des Gottvaters arrangierten Scheibe befinden sich Köpfe von drei Männern, die aus ein und demselben Feld zu stammen scheinen. Im Blick auf die betend gefalteten Hände und ihre kummervollen Mienen ist man geneigt, an eine Sterbeszene zu denken, der drei Männer wegen am ehesten an eine Darstellung vom Tod Marias. Die Gottesmutter dürfte sich dann links vor ihnen kniend oder in einem Bett liegend befunden haben. Zum Bettzeug gehörte vielleicht das Fragment mit dem weißen Stoff am linken Bildrand, eventuell auch das Stück mit den gelben Weinblättern auf schwarzem Grund und den weißen Streifen. Ungewöhnlich aufwendig ist die Bemalung der Rückseite in zwei oder mehr Schichten.
In den zwei kompilierten Scheiben der Zeile 6 könnten analog zum eingangs beschriebenen Feld mit den Kopffragmenten des Petrus und Paulus Ursprünge aus Bildern der Legende der beiden Apostelfürsten, speziell der Darstellung einer Bekehrung Pauli, zu erkennen sein. Im Zentrum der linken Scheibe befindet sich das Fragment eines Mannes, der den Griff eines Reiterschwertes in seiner Rechten haltend beide Arme über den Kopf erhoben hat (6a). Nach den Sporen am Bildrand zu schließen, war er beritten. In Kopftyp und Gestik gleicht er dem vom Pferd stürzenden hl. Paulus in der Szene seiner Bekehrung, wie er auf zahlreichen Beispielen dargestellt ist. Die Bekehrung ist das am häufigsten wiedergegebene Ereignis aus der Legende des hl. Paulus. Es schildert auf höchst dramatische Weise die Wende im Leben des späteren Apostels. Noch als Saulus hatte sich der gelehrte Pharisäer nach Jerusalem aufgemacht, um dort im Auftrag des Synedriums gegen die Christen vorzugehen. Vor den Toren von Damaskus traf ihn die Erkenntnis von der göttlichen Natur und der Heilstat Christi wie ein Blitzschlag, so dass er geblendet zu Boden stürzte. Nach seiner Taufe änderte er seinen Namen in Paulus.
Wenn Paulus auch Bewaffnete in seinem Gefolge hatte, könnten die zwei Soldaten in hellen Rüstungen (6c) zu der Glasmalerei gehört haben. Der hintere trägt einen Schaller mit aufgeklapptem Visier und zum Schutz von Hals und Kinn ein Kinnreff mit geschweiftem Rand. Beachtung verdient die Kopfbedeckung des vorderen – ein ziviler Filzhut über einer Hirnhaube. Sie wurde, obgleich verbreitet, nur selten dargestellt. Sein Harnisch mit Zungenschiftung und spitzbogig ausgeschnittenen Schultern, das Beinzeug und die Hentze entsprechen Rüstungen, wie sie seit 1480 getragen wurden. Aus der Haltung des Mannes möchte man schließen, dass er zu Pferd saß und den Zügel in der Rechten hielt. Die Bruchstücke hellblauer Harnischteile am linken Bildrand belegen, dass in dem Fenster noch mehr Kriegsknechte dargestellt waren. Ob sie aus der gleichen Szene stammen, muss angesichts der wenigen Fragmente bloße Spekulation bleiben.
Bei den hellblauen Gläsern mit großblättrigen Ranken in diesem Feld könnte es sich um Reste eines Medaillonrahmens handeln, der demnach wohl die großfigurigen Szenen dekorativ umfing und über die Zeilen hinweg miteinander verband.

Dass die Glasmalereien auf die Stiftsheiligen Bezug nahmen, mag kaum erstaunen. Wie sehr die Patrone verehrt wurden, bezeugen nicht nur zahlreiche Bildwerke im Dom, sondern auch ihre bevorzugte Stellung im Festkalender und bei Prozessionen. Der Tag der Bekehrung Pauli wurde am 25. Januar als Hochfest im Dom begangen. Nach dem Liber ordinarius wurde auch die Commemoratio Pauli gefeiert. Das mutmaßlich zweite Thema griff mit Tod und Krönung Marias Motive auf, die im ausgehenden 15. Jahrhundert außerordentlich beliebt waren.

 

Einzelscheiben:

6a: Bekehrung des hl. Paulus, Fragment

6c: Soldaten, Fragment

9a: Apostel Petrus und Paulus

9b: Marienkrönung (?), Fragment

9c: Marientod (?), Fragment

Zugehörige Aufnahmen im Bildarchiv