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Zitierhinweis

Michael Burger, Taxen sind Faxen. Drei hochgotische Glasmalereien in der Sammlung Fritz Thomée (1862‒1944), in: corpusvitrearum.de, 04.03.2024. urn:nbn:de:0238-20240304155420085-4774135-7.

Dieser Text steht unter einer CC BY-NC 4.0 Lizenz.

Taxen sind Faxen

Drei hochgotische Glasmalereien in der Sammlung Fritz Thomée (1862‒1944)

Der Wiederaufbau der Burg Altena im Märkischen Kreis geht maßgeblich auf den 1901 zum Landrat des Kreises Altena gewählten Fritz Thomée (1862‒1944) zurück. Die Burg sollte kulturelles Zentrum der ehemaligen, 1909 seit dreihundert Jahren zu Preußen gehörigen Grafschaft Mark werden1. Von Anfang an war die neu errichtete Burg auch als „Museum der Grafschaft Mark“ gedacht und konzipiert worden, wofür Thomée jahrelange Konzeptarbeit leistete und eine gezielte Objektakquise auf dem regionalen und überregionalen Kunstmarkt betrieb2. „Ich hatte eine Burg zu füllen“, sagte Thomée lapidar über seine Sammel- und Erwerbsaktivitäten3.

Gleichzeitig baute Thomée eine eigene qualitativ hochwertige Sammlung mittelalterlicher Kunst auf, die vornehmlich Bildwerke des Mittelalters und der Frühen Neuzeit – Altartafeln, Holzskulpturen und Ölgemälde –, aber auch Mobiliar und Kunsthandwerk umfasste und bereits früh gerühmt wurde. Alexander Schnütgen, selbst Sammler, würdigte schon 1918, was Thomée „seit einem starken Jahrzehnt“ zusammengetragen hatte4, und 1931 erschien im Verlag des Kunsthistorischen Seminars Marburg ein üppig ausgestatteter Sammlungskatalog5, für den vom Marburger Bildarchiv eigens zahlreiche fotografische Aufnahmen angefertigt wurden. Unter diesen Fotografien befindet sich auch eine mit zwei Glasmalereien (Abb. 1), die nicht in die Publikation aufgenommen wurden und um die es im Folgenden gehen soll.

Abb. 1. Zwei Glasgemälde aus der Sammlung Fritz Thomée, Altena, 1920er-Jahre. Aufnahme: Bildarchiv Foto Marburg.

Die Fotografie bildet zwei übereinander montierte, ungefähr gleich große, annähernd quadratische Glasmalereien ab. Das obere Feld zeigt einen bekrönenden, krabbenbesetzten Wimperg mit einer abschließenden tulpenförmigen, dreiblättrigen Kreuzblume, flankiert von zwei gleich hohen, schlanken Fialen. Die halb angeschnittenen Rosetten des Hintergrundmusters links und rechts könnten ursprünglich dazugehörig sein, während die Hintergrundfläche zwischen den Fialen ein Pasticcio aus verschiedenen quadratischen Gläsern darstellt. Gleichfalls verunklärt sind die oben waagerecht abschließenden Brüstungselemente hinter der Kreuzblume. Vermutlich stammt die Scheibe aus dem Rheingebiet (Ober-, Mittel- oder Niederrhein) und datiert in das frühe 14. Jahrhundert, doch reicht die Verbreitung derartiger architektonischer Motive auch weit darüber hinaus6.

Abb. 2. Unterer Teil einer architektonischen Bekrönung unbekannter Herkunft. Altena, Museen der Burg Altena, Burgkapelle, Fenster nw I, 1a. Aufnahme: CVMA Deutschland, Freiburg i. Br. (Andrea Gössel).
Altena, Museen der Burg Altena, Burgkapelle, nwI 1-2a

Ähnliche architektonische Bekrönungen findet man etwa auch in der westfälischen Glasmalerei (Abb. 2)7.

Abb. 3. Krönung Marias und Kronen haltende Engel. Freiburg i. Br., Münster, Märtyrerfenster (Lhs. s XXIII), Maßwerk. Oberrhein (Freiburg i. Br.), um 1270/75. Aufnahme: CVMA Deutschland, Freiburg i. Br. (Ulrich Engert).
Freiburg, Münster, Lhs, Märtyrerfenster, sXXIII, Masswerk rech

Das untere Feld zeigt die Hll. Drei Könige aus einer Anbetung der Könige. Obgleich es dieselbe Breite wie das Architekturfeld aufweist, dürften beide Felder nicht zusammengehören, worauf vor allem die breiten Randstreifen hinweisen, die angebracht wurden, um die Scheiben einander anzugleichen. Die Könige füllen das hochrechteckige Bildformat zwischen zwei randseitigen Abschlusssäulen nahezu komplett aus. Der rechte, vordere König öffnet kniend sein Gefäß und reicht es dem Christuskind auf dem Schoß von Maria, die ursprünglich in einem benachbarten Feld zu sehen waren. Links dahinter stehen die beiden anderen Könige einander zugewandt, ihre Gaben vor sich tragend. Die Scheibe weist umfangreiche Schäden und Reparaturen auf. So enthalten alle drei Kopfstücke sog. Spinnensprünge, von denen zwei mit Notbleien geschlossen wurden. Die Zeichnung, insbesondere die Ornamentierung der Kronen, aber auch die Gestaltung der Gesichter lässt an eine Entstehung am Oberrhein im ausgehenden 13. Jahrhundert denken, wo sich ähnlich ornamentierte, von Engeln getragene Kronen im Maßwerk des Märtyrerfensters des Freiburger Münsters finden (Abb. 3)8.

Abb. 4. Glasgemälde mit der Verkündigung an die Hirten aus der Sammlung Fritz Thomée, Altena. Titelbild der Oktober-Ausgabe der Zeitschrift „Die Heimat. Monatsschrift für Land, Volk und Kunst in Westfalen und am Niederrhein“ aus dem Jahr 1927. Aufnahme: Reproduktion.

Zu dem Feld mit den Hll. Drei Königen gehört eine weitere Scheibe, die die Verkündigung an die Hirten zeigt. Ebenfalls in der Sammlung Thomée befindlich, wurde sie im Oktober 1927 als Titelbild der Zeitschrift „Die Heimat. Monatsschrift für Land, Volk und Kunst in Westfalen und am Niederrhein“ farbig (!) reproduziert (Abb. 4). Auffällig ist die Form des linken Kapitells, das ähnlich im Feld mit den Königen wiederkehrt. Die hochrechteckige, 78 × 43 cm große Scheibe zeigt einen stehenden Hirten, umringt von zahlreichen Tieren, dem von oben ein Engel die Geburt des Herrn verkündet. Der Engel weist mit seiner linken Hand in Richtung des Geschehens, dem die Hand des Hirten folgt. Die Szene findet in einem architektonischen Gehäuse statt, dessen grüne Säulen mit gelben Basen und Kapitellen das irdische Geschehen rahmen, während dem Engel das Dreieck der Giebelbekrönung zugewiesen ist. Über dem Giebelfeld erscheinen zwei Türmchen mit verbindendem Zinnenkranz. Dass auch dieses Feld großflächig im Bestand gestört ist, ist offensichtlich. Gut zu erkennen ist etwa die flächige Überzinnung des Bleinetzes, eine Methode, die vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts oft angewendet wurde.

Im schriftlichen Nachlass von Fritz Thomée, der sich heute im Kreisarchiv des Märkischen Kreises in Altena befindet9, findet sich ein Kaufbeleg, demzufolge Thomée im Juni 1920 für 22.700 Mark Glasscheiben in München erwarb10. Leider fehlen weitere Angaben zu den Objekten (Anzahl, Größe, Darstellungsinhalte) und dem Verkäufer (Name, Adresse), und selbst die Unterschrift ist nicht zu entziffern. Dass dieser Beleg aber den Erwerb der hier vorgestellten Glasmalereien betreffen dürfte, darauf weist nicht nur der hohe Preis, der für Bleiverglasungen dieser Größe durchaus angemessen war, sondern auch der Umstand hin, dass die Scheiben kurz darauf in Frankfurt am Main bei Otto Linnemann auftauchen.

Linnemann und Thomée kannten sich seit langer Zeit. Die Frankfurter Glasmalereiwerkstatt der Brüder Rudolf und Otto Linnemann war mehrmals von Thomée beauftragt worden. So hatte sie im Jahr 1908 die Verglasung des Treppenhauses im Altenaer Kreishaus gestaltet, in dem Thomée seinerzeit wohnte, und war auch für die glasmalerische Ausstattung der Burg Altena herangezogen worden (Restaurierung der mittelalterlichen Glasgemälde für die Fenster der Burgkapelle, Anfertigung von Wappenscheiben für den Rittersaal und weitere Räumlichkeiten)11.

Linnemann schrieb Thomée am 4. November 1920, dass seine Glasmalereien in Frankfurt am Main eingetroffen seien, er sie restauriere, dann weiter: […] ich glaube, Sie werden Freude daran haben, besonders bei der Anbetung der hl. drei Könige ist mit wenigen Ergänzungen der frühere Zustand annähernd wieder hergestellt12. Bereits im Januar 1921 folgte ein weiterer Brief mit folgendem Inhalt: Ihre schönen alten Scheiben, die ja erst bei Aufnahme der Arbeit in der Kapelle (Massnehmen) mit nach dort gebracht werden sollen, sehnen sich wohl auch nach und nach zu ihrem glücklichen Besitzer zurück. Uebrigens hatte ich vor kurzer Zeit Gelegenheit sie einem hiesigen Antiquar zu zeigen, der sie auf cirka Mk. 40 000,-- taxierte und zwar: die 3 Königsscheibe Mk. 8 000.--, die Verkündigung an die Hirten Mk. 10 000.-- und das Fragment mit den beiden Halbfiguren der Propheten Mk. 18 000.--. Taxen sind zwar Faxen, aber vielleicht interessiert Sie diese Mitteilung doch. […] Mit freundlichen Grüßen Stets Ihr sehr ergebener Linnemann13.

Waren die Scheiben ursprünglich für die Burgkapelle gedacht? Und: Welches Feld meinte Linnemann mit dem Fragment der beiden Propheten-Halbfiguren? Immerhin sticht Letzteres bei der Preisfindung weit über die Felder mit den Hll. Drei Königen und der Hirtenverkündigung hinaus. Thomée scheint sie für seine eigene Sammlung behalten zu haben, wie die Veröffentlichung der Hirten-Scheibe 1927 zeigt. Doch ganz unbeeindruckt von den Zahlen scheint Thomée nicht gewesen zu sein, denn in der Folgezeit ist von den Glasmalereien nicht mehr die Rede. Er scheint sie wieder veräußert zu haben14. Als der Kunsthistoriker Hans Wentzel den Landrat Thomée im Zuge der Kriegsbergungskampagne 1944 nach Glasmalereien in Altena fragte, berichtete dieser ihm von den Fenstern der Burgkapelle und dass sich in seiner eigenen Sammlung – lediglich – eine Katharinenscheibe befinde15. Wentzel kannte die Hirten-Scheibe dennoch, vermutlich von der Veröffentlichung 1927; er erwähnt sie in seiner Übersicht über die westfälischen Glasmalereien unter der falschen Annahme, sie befände sich auf der Burg16.

Die Sammlung Thomée wurde einschließlich der erwähnten Katharinenscheibe in den 1950er-Jahren auf drei Ausstellungen gezeigt17 und danach unter seinen drei Kindern Fritz, Margarete und Hans aufgeteilt. Heute befindet sie sich in der Enkelgeneration an drei verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen. In allen drei Sammlungsteilen existieren zwar weitere, zum Teil noch unbekannte Glasmalereien, aber nicht die drei hier vorgestellten Werke. Bleibt zu hoffen, dass sie eines Tages wieder auf dem Kunstmarkt auftauchen!

  1. Zum Wiederaufbau der Burg Altena und Thomées Rolle s. ausführlich Stephan Sensen, Duell ‒ der Streit um den Wiederaufbau der Burg Altena, in: Wir sind Preußen. Die preußischen Kerngebiete in Nordrhein-Westfalen 1609‒2009, hrsg. von Stephan Sensen, Essen 2009, S. 157‒193.»
  2. Für das Beispiel der Glasmalereisammlung s. demnächst Michael Burger, Die Sammlung mittelalterlicher Glasmalereien auf Burg Altena. Genese der Burgkapellenverglasung, in: Der Märker (in Vorbereitung).»
  3. Sensen 2009 (wie Anm. 1), S. 188.»
  4. Alexander Schnütgen, Die Burg Altena und die Altertümersammlung des Landrats Thomée, in: Zeitschrift für christliche Kunst 31, 1918, S. 75‒79, hier S. 78.»
  5. Die Sammlung Thomée, hrsg. von Kurt Luthmer, Marburg 1931.»
  6. Zu architektonischen Bekrönungen in der Glasmalerei s. grundlegend Rüdiger Becksmann, Die architektonische Rahmung des hochgotischen Bildfensters. Untersuchungen zur oberrheinischen Glasmalerei von 1250 bis 1350 (Forschungen zur Geschichte der Kunst am Oberrhein 9/10), Berlin 1967.»
  7. Die abgebildete Scheibe auf Burg Altena gehört zu einem Konvolut von Architekturfeldern aus Westfalen, von denen weitere Exemplare sich im Dom zu Münster und im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg befinden und deren einstiger Anbringungsort bislang ungeklärt ist.»
  8. Rüdiger Becksmann, Die mittelalterlichen Glasmalereien in Freiburg im Breisgau (Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland II,2), 2 Bde., Berlin 2010, I, S. 172‒189.»
  9. Altena, Kreisarchiv des Märkischen Kreises, NL Th (Nachlass Landrat Dr. Fritz Thomée).»
  10. Altena, Kreisarchiv des Märkischen Kreises, NL Th, Nr. 223. Der Beleg wird erwähnt in: Werner Marks, Die Sammlung Thomée. Geschichte und Kunstwerke, 2 Bde., Phil. Diss. Berlin 2007, I, S. 131 und S. 194, Anm. 173.»
  11. Bettina Schüpke, Die Glasmalereiwerkstatt Linnemann aus Frankfurt am Main (1889‒1955) und ihre Arbeiten im Märkischen Kreis, in: Der Märker 58, 2009, S. 80‒95.»
  12. Brief von Otto Linnemann an Fritz Thomée vom 4.11.1920; Altena, Kreisarchiv des Märkischen Kreises, NL Th, Nr. 223.»
  13. Brief von Otto Linnemann an Fritz Thomée vom 24.1.1921; Altena, Kreisarchiv des Märkischen Kreises, NL Th, Nr. 223.»
  14. Die Veräußerung von Kunstwerken war bei Thomée gängige Praxis, wenn er damit neue und in seinen Augen hochwertigere Stücke kaufen konnte. Vgl. hierzu Marks 2007 (wie Anm. 10), S. 7 und S. 179.»
  15. Um 1940 erworben, Privatbesitz. Brief von Fritz Thomée an Hans Wentzel, Stuttgart, vom 13.2.1944; Archiv des CVMA Deutschland, Freiburg i. Br., Nachlass Wentzel.»
  16. Hans Wentzel, Die mittelalterlichen Glasmalereien Westfalens. Abriß der Forschungsaufgabe, in: Westfalen 27, 1948, S. 215‒220, hier S. 220, Anm. 6.»
  17. Die Sammlung Thomée. Zur Geschichte der privaten Kunstsammlungen in Westfalen, Katalog zur Ausstellung im Museum für Kunst und Kulturgeschichte Dortmund in Schloss Cappenberg, bearbeitet von Rolf Fritz, 1953; Alte religiöse Kunst. Sammlung Thomée, Altena, Katalog zur Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum Duisburg, 1954/55; Alte religiöse Kunst. Privatsammlung Thomée, Altena, Katalog zur Ausstellung im Karl-Ernst-Osthaus-Museum Hagen, 1956.»