Zitierhinweis
Ulf-Dietrich Korn, Zu den Chorfenstern der Pfarrkirche in Feldhausen (1985), in: corpusvitrearum.de, 23.1.2025. urn:nbn:de:0238-20241213133215171-4252359-8.
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Zu den Chorfenstern der Pfarrkirche in Feldhausen (1985)
Vorwort
(1) Im Nachlass unseres ehemaligen Kollegen bei der LWL-Denkmalpflege, Landschafts- und Baukultur in Westfalen (Münster), Ulf-Dietrich Korn (1936‒2019)1, fand sich ein unveröffentlichter Beitrag zu den mittelalterlichen Glasmalereien der Kirche St. Mariä Himmelfahrt in Bottrop-Feldhausen. Korn schrieb diesen Aufsatz 1985 für die Publikation „Kunstdenkmäler Kirchhellener Kirchen“ des Vereins für Orts- und Heimatkunde Kirchhellen e. V., die aus finanziellen Gründen aber nicht erscheinen konnte. Weitere Anläufe, den Aufsatz später an anderer Stelle zu publizieren, scheiterten aus Zeitmangel, da der Verfasser ihn dafür um Anmerkungen hätte erweitern müssen. So blieb der Text jahrelang in der Schublade liegen und wanderte mit allen Unterlagen Korns zur Glasmalerei in das Archiv des Corpus Vitrearum Deutschland, Freiburg i. Br.
(2) Doch auch 40 Jahre nach Abfassung des Textes haben die Forschungsergebnisse Korns nichts an ihrer Aktualität eingebüßt. Deshalb ‒ und weil die Freiburger Arbeitsstelle des CVMA Deutschland im Rahmen der letzten Restaurierungsmaßnahmen 2012 die Feldhausener Scheiben untersuchen und fotografieren konnte2‒ möchten wir den Aufsatz hier in vollem Wortlaut posthum veröffentlichen, angepasst an die neue Rechtschreibung und um Zwischenüberschriften, Fußnoten, einen Grundriss, aktuelle Aufnahmen und Erhaltungsschemata ergänzt (Michael Burger/Uwe Gast).
Einleitung
(3) Im Jahre 1973, als die Kirchengemeinde Feldhausen das 500-jährige Bestehen ihrer Kirche feierte, bemerkte Johannes Rottmann in der kleinen Festschrift, dass die meisten Kunstwerke der Kirche und die schönen spätgotischen Glasfenster bisher noch keine rechte Würdigung erfahren hätten3. Er knüpfte an diese Feststellung die Frage, ob dies wohl im Jubiläumsjahr [1973] geschehen werde.
(4) Es gelang nicht; denn gerade in jenem Jahr mussten die Glasgemälde zur Restaurierung in die Glasmalereiwerkstatt Dr. H. Oidtmann nach Linnich bei Jülich gebracht werden. Schon 1971 hatte eine Untersuchung der Scheiben ergeben, dass ihre Vorderseiten mit der Schwarzlotmalerei in Gefahr waren, vom sauren Schwitzwasser allmählich zerfressen und zerätzt zu werden4 . Zugleich bestand schon damals der Plan, die Glasmalereien wieder in den Chor umzusetzen, um dort die etwas karge Ausstattung wieder zu bereichern.
Die Geschichte der Verglasung und die Restaurierung 1973
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(5) Aber fangen wir mit der jüngeren Geschichte der Fenster von vorn an: in der Zeit um 1885, als die kleine Feldhausener Kapelle nach Plänen des Münsterʼschen Architekten Hilger Hertel d. Ä. ihr neugotisches, dreischiffiges Langhaus erhielt (Abb. 1).
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(6) Im Archiv des Westfälischen Amtes für Denkmalpflege in Münster fanden sich zwei kleine, stark verbräunte Fotografien aus dieser Zeit (Abb. 2, 3). Jede zeigt eins der zweibahnigen Chorfenster der Kapelle [Fenster nord II und süd II] mit den Glasgemälden, die in der oberen Fensterhälfte unter dem Maßwerk ihren Platz hatten: in einem Fenster rechts Christus am Kreuz, links die Gruppe von Maria und Johannes, im anderen Fenster die Muttergottes im Strahlenkranz neben dem Evangelisten Johannes, beide in einem gotischen Architekturgehäuse. Aber die Scheiben, die damals schon gut 400 Jahre alt waren, hatten diese lange Zeit natürlich nicht unversehrt überstanden und sahen um 1885 erbärmlich aus: Dem Johannes aus dem Kreuzigungsfenster fehlte der Kopf; an seiner Stelle waren Teile eines Wappenfensters eingesetzt, reich gezaddelte Ranken und Blüten und der auf dem Kopf stehende Wappenschild der Familie von Droste zu Beck. Auch unter dem Kreuz waren Wappenschilde und Rankenwerk willkürlich als Flicken zusammengestückt worden. Ähnlich schlimm war es mit den beiden Standfiguren. Auch hier waren Blattranken oder blankes Glas in den Fehlstellen eingesetzt, sodass vor allem in den unteren Teilen der Zusammenhang von Figur, Gewand und Architektur kaum noch erkennbar war. Die Maßwerkscheiben und die unteren Fensterpartien waren damals offenbar überwiegend mit blanken Gläsern geschlossen. Nur in den Herzblasen des Maßwerks standen auch farbige Gläser in einer Art Vierpassmuster; doch geben die alten Aufnahmen keinen Aufschluss darüber, ob es noch Reste der mittelalterlichen Maßwerkverglasung waren oder ob sie aus jüngerer Zeit stammten.
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(7) Mit dem Bau des Kirchenlanghauses von 1885 und der Stiftung von neugotischen Glasgemälden für die seitlichen zweibahnigen Fenster des Chorpolygons – das Mittelfenster war damals vermauert worden – hatte man die unansehnlich gewordenen mittelalterlichen Fensterreste offenbar in andere Fenster umgesetzt, wo sie gut aufgehoben waren, bis man sie instand setzen lassen konnte. Dabei hatte man anscheinend die Kopfscheiben der Lanzetten mit derbem Glas angestückt, um ein rechteckiges Scheibenformat zu erhalten. Die nächste Aufnahmenserie von 1899 zeigt diesen Zustand; die Fotografien entstanden, als man die Scheiben zur Restaurierung ausgebaut und zum Glasmaler transportiert hatte (Abb. 4, 5). Der Zustand der alten Glasmalereien war derselbe wie um 1885, eher war er noch schlechter, und die Zahl der notdürftig eingezogenen Sprungbleie hatte sich noch vermehrt. Die Qualität der Aufnahmen des damaligen Provinzialkonservators Albert Ludorff macht es möglich, einen Teil der später eingeflickten Glasmalereireste genauer anzusprechen. So zeigt z. B. die Scherbe links über dem Kopf des Evangelisten Johannes (Abb. 4), dass dieses Stück zu einem Renaissancefenster der Zeit um 1550 gehörte: Eine mit Girlanden umschlungene Volutenranke endet unten in einem Männerkopf, und hinter der Volute werden die tänzelnden Beine und der Leib einer weiteren Figur, vielleicht eines kleinen Putto, sichtbar. Ähnliche Formen zeigen die Fenster aus dem Kreuzgang von Kloster Marienfeld im nördlichen Seitenschiff des Domes zu Münster5 . ‒ Am unteren Teil der Johannesfigur und unter dem Kreuz sind in den Flickstücken Reste von Inschriften zu erkennen. Sie stammen offensichtlich aus verschiedenen Wappen- und Inschriftscheiben der Zeit um 1600, wie die eleganten Frakturbuchstaben und die Fragmente bunter Rollwerkrahmen zeigen. Die Texte geben nicht viel an Information her: … ehelute gebe(n) dis …; … Statt Dursten b…/Molmans ehel(eu)tte … und … ger vnd ve…/(br)abeck vnd … ist alles, was sich lesen lässt.
(8) Wer 1899 der Restaurator und Glasmaler war, der die Scheiben instand setzte, nach bestem Wissen und nach dem Willen der Auftraggeber komplettierte, wissen wir einstweilen nicht. Vielleicht war es der renommierte Glasmaler Victor von der Forst in Münster, der damals für zahllose Kirchen im Münsterland und weit darüber hinaus vorzügliche Fenster geschaffen hat. Der Glasmaler eliminierte alles, was nach seiner Meinung nicht zum mittelalterlichen Bestand gehörte ‒ die Ranken, den Drosteʼschen Wappenschild und die Inschriftfragmente ‒, und füllte die Fehlstellen mit Geschick und Geschmack auf. Der Johannes unter dem Kreuz bekam wieder einen passenden Kopf, das Kleid der Maria wurde richtig vervollständigt, der Kreuzbalken nach unten verlängert, die Landschaft hinter dem Kreuz komplettiert, und unten arrangierte man die beiden Wappenschilde zuseiten des Totenschädels über den gekreuzten Knochen, so wie man es ähnlich auf anderen spätgotischen Kreuzigungsbildern fand. Nach der Gewohnheit der Zeit wurden die eliminierten Flickstücke weggeworfen. Man hatte sie ja vorzüglich und sinngemäß ersetzt und konnte nun nichts weiter damit anfangen. Dass man mit dem Wegwerfen dieser übrig gebliebenen Fragmente auch historische Zeugnisse vernichtete, ist wohl kaum einem der Beteiligten damals in den Sinn gekommen.
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(9) Die restaurierten Glasgemälde wurden in den beiden schlanken, einbahnigen Lanzettfenstern an der Südseite des Chores arrangiert [Fenster süd III und süd IV] (Abb. 1). Das Denkmalamt in Münster verwahrt eine Außenaufnahme dieser Seite, auf der die Fenster leidlich gut auszumachen sind (Abb. 6). Die untersten beiden Felder der schmalen Fenster nahmen die Einzelfiguren des Evangelisten Johannes und der Madonna im Strahlenkranz ein, darüber folgte im östlichen Fenster die Gruppe von Maria und Johannes, im westlichen Christus am Kreuz. Die vier Kopfscheiben hatte man nach Gutdünken zu zweien zusammenmontiert, sodass Sonne und Mond aus dem Kreuzigungsfenster nun unter den Eselsrücken aus den Tabernakelgehäusen von Johannes und Maria einen neuen Platz fanden. Besonders glücklich war die Anordnung der alten Scheiben in den Südfenstern sicher nicht, weil beide Male die zusammengehörigen Figuren voneinander getrennt wurden. Immerhin sind aber die Glasmalereien auf diese Weise erhalten geblieben. Auch im Inventarband der „Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Recklinghausen“ wird übrigens beklagt, dass man bei der Restaurierung von 1899 „die interessanten heraldischen Ornamentreste und Bruchstücke entfernt“ hatte6.
(10) Während des unseligen Zweiten Weltkriegs wurden die kostbaren Glasgemälde ausgebaut und an sicherem Ort geborgen. So entgingen sie der Zerstörung; denn gerade die Südseite des Chores mit den Fenstern, in denen sie 1899 ihren neuen Platz gefunden hatten, wurde am 13. März 1945 bei dem Angriff auf den nahe gelegenen Bahnhof Feldhausen von Bombeneinschlägen getroffen. Wären die Scheiben dort geblieben, so wären sie mit Sicherheit vernichtet worden.
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(11) Die Kirche erhielt beim Wiederaufbau in den Jahren 1949‒1951 eine gänzlich neue Gestalt. Das Hertelʼsche Langhaus mit Ausnahme der Nordwand musste abgetragen werden; das neue Kirchenschiff wurde um sechs Meter nach Westen verlängert und ist seither ein schlichter, breit gelagerter Saalraum, an den sich im Osten der wieder aufgebaute und wieder mit Gewölben versehene alte Kapellenchor anschließt. Von Hilger Hertels Bautätigkeit zeugen seither nur noch die zwei neugotischen Maßwerkfenster im östlichen Teil der Nordwand [Fenster nord V und VI]. In sie wurden 1955 die alten Glasmalereien wieder eingesetzt, umgeben von Umrahmungen, die in Anlehnung an die neugotischen Ergänzungen von 1899 von der Glasmalereiwerkstatt von der Forst, Münster, geschaffen wurden (Abb. 7). Diese Umrahmungen waren notwendig, weil die senkrechten Bahnen der neugotischen Fenster mit 65 cm zwölf Zentimeter breiter waren als die alten Scheiben. Außerdem mussten auch die Maßwerkscheiben mit dem Bogenviereck im Stil der alten Scheiben angeglichen werden. Einen Vorteil hatte die neue Anordnung der Scheiben: Der ikonografische, d. h. sinngemäße Zusammenhang wurde dabei wiederhergestellt. Die Gruppe von Johannes und Maria stand wieder links neben dem Gekreuzigten im östlichen Fenster, über ihnen Sonne und Mond und die Reste der alten Tabernakelbekrönungen des Evangelisten Johannes und der Strahlenkranzmadonna. Diese fanden im westlichen Fenster nebeneinander als Paar ihren Platz, die Tabernakelbekrönungen wurden hier in vereinfachten Formen ergänzt.
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(12) 1973 kehrten die alten Scheiben in den Chor zurück. Das Mittelfenster blieb beim Wiederaufbau vermauert, vor ihm hängt seitdem der spätgotische, eichene Crucifixus mit der aus natürlichen Zweigen geflochtenen Dornenkrone. Die Scheiben mit der Kreuzigung stehen jetzt rechts davon im Südostfenster [süd II], die Strahlenkranzmadonna und der Evangelist mit dem Schlangenkelch im Nordostfenster [nord II] (Abb. 8). Die gotisierenden Umrahmungen von 1955 wurden bei der Restaurierung wieder entfernt. Zugleich ließ sich anhand der vor 1900 entstandenen Aufnahmen der zuverlässige, alte und richtig ergänzte, neugotische Bestand in den Maßwerkscheiben herauslösen und den beiden Fenstern zuweisen. So stehen jetzt wieder – wie ursprünglich – Sonne und Mond in hellblauen Feldern über der Kreuzigung; die Strahlenkranzmadonna und der Evangelist Johannes haben ihre kielbogigen Gehäusebekrönungen zurückerhalten. Nur die Kreuzblume über Johannes musste nach dem Vorbild ihres Gegenstücks über der Madonna neu gemalt werden. Sie war schon 1899 nur noch in einem Rest erhalten und bei der neugotischen Restaurierung durch eine freie Neuschöpfung ersetzt worden [vgl. die Erhaltungsschemata Abb. 10, 12].
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(13) Im Übrigen mussten sich die Linnicher Glasmaler darauf beschränken, den Bestand zu sichern, wenige kleine Fehlstellen zu schließen und neuere Sprünge zu kleben. Die vorhandenen Geldmittel waren knapp; so unterblieb manches, was aus ästhetischen Gründen wünschenswert war. Gern hätte man die vielen störenden Sprungbleie beseitigt und den ursprünglichen, schlichten Bleiriss wiederhergestellt, z. B. in der Schulter des Johannes, wo eine Bleispinne um ein rotes Reparaturstück im Gewand unangenehm auffällt. Aber das wären „Schönheitsreparaturen“ gewesen; zur Konsolidierung der alten Scheiben war das nicht notwendig. Umso wichtiger war die Sicherung der Glasgemälde gegen Steinwürfe und gegen den Niederschlag des mit aggressiven Schadstoffen gesättigten Schwitzwassers. Den Schutz gegen mechanische Beschädigungen von außen gewährleisten Scheiben aus Sicherheitsglas. Vor ihrer Innenseite wurden die kostbaren, stabil gerahmten Glasmalereien mit einem Abstand von wenigen Zentimetern montiert. Das genügt, um die Scheiben vorn und hinten in einem gleichmäßigen Klima zu halten; das Schwitzwasser schlägt sich nun auf den Schutzscheiben nieder und nicht auf der empfindlichen Innenseite der mittelalterlichen Glasgemälde7.
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(14) Dass diese durch eine schwache Säure aus Schwitzwasser und Schwefeldioxyd in einem langsamen, kaum wahrnehmbaren Ätzprozess schon geschädigt worden waren, machen die Detailaufnahmen des Christus am Kreuz deutlich (Abb. 13, 14): Kopf und Leib sind mit zahllosen, winzigen Punkten und einigen Flecken gesprenkelt; an der linken Stirnseite und im Haar ist das Schwarzlot, die Malfarbe, bereits in größeren Flächen zerfressen. Die Vorderansicht bei Auflicht zeigt, dass die Punkte und Flecke kleine Krater und Näpfchen sind, gefüllt mit einer kreidig-weißen Substanz. Sie ist nichts Anderes als Gips, und der ist der chemisch umgewandelte Rest des hier zerstörten Glases8. Dieser „Punktfraß“ [auch: Lochfraß ] ist an allen mittelalterlichen Gläsern der Fenster festzustellen, wenn auch glücklicherweise nicht in so gefährlichem Umfang (Abb. 18, 19). Es steht zu hoffen, dass die Schutzverglasung die kostbaren Scheiben vor weiterem Schaden dieser Art bewahrt9.
Bezüge zur Kölner Tafelmalerei des späten 15. Jahrhunderts
(15) Welcher Glasmaler die Fenster für die 1473 gestiftete Kapelle in Feldhausen geschaffen hat und wo er mit seiner Werkstatt seinen Sitz hatte, ist unbekannt; keine Urkunde und kein Rechnungsbeleg geben darüber Auskunft. Die Feldhausener Glasmalereien sind überdies weit und breit die einzigen mittelalterlichen Scheiben, die durch glückliche Fügung und günstige Umstände erhalten blieben. Von den vielen Kirchen und Kapellen im Münsterland, im westlichen Ruhrgebiet und am Niederrhein, die zweifellos zumindest in den Chorfenstern farbige Verglasungen besaßen, hat keine auch nur einen Rest davon bewahrt. Allein der Xantener Dom, die Reinoldikirche in Dortmund und St. Victor in Schwerte haben noch mittelalterliche Scheiben, aber diese stammen aus anderen Zeiten, sodass sich dort nichts Vergleichbares finden lässt.
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(16) Es gibt aber etwas weiter entfernt, in Köln, ein Werk der Tafelmalerei, das dem Feldhausener Fenster in manchen Zügen so stark ähnelt, dass man annehmen möchte, der Glasmaler habe es gekannt und zum Vorbild genommen: die Kreuzigung vom Meister des Marienlebens im Wallraf-Richartz-Museum (Abb. 15)10. Dieser namentlich nicht bekannte Maler, der in den Niederlanden – wohl bei Dieric Bouts – gelernt hatte und zwischen 1460 und 1480 der Hauptmeister der kölnischen Malerei war, führte mit diesem Bild einen neuen Typ des Kreuzigungsbildes ein. Er verzichtet auf alles Beiwerk des sog. volkreichen Kalvarienberges und reduziert ihn auf die Gruppe von Maria und Johannes vor dem niedrig gesetzten Kruzifix, unter dem Maria Magdalena kniet. Den Bildgrund gibt er als offene Landschaft wieder, mit ein paar Bäumen und Büschen und einem Weg, der sich zu der Stadtkulisse in der Ferne schlängelt. Maria wendet sich trauernd ab und lehnt sich an Johannes, der sie sanft stützt.
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(17) Der Maler der Feldhausener Fenster übernimmt die Komposition in wesentlichen Zügen – bis hin zum Schlängelweg –, doch lässt er die betende Maria Magdalena fort. Die Gruppe von Maria und Johannes formt er um und gibt ihr mit dem schmerzlichen Zusammensinken der Mutter Jesu einen dramatischen Charakter. Hierin folgt er vielleicht dem Kreuzabnahmebild [Beweinung Christi] desselben Meisters (ebenfalls im Wallraf-Richartz-Museum, Abb. 16)11, dessen Maria im Motiv des Zusammensinkens der Feldhausener Maria ähnlicher ist als die Maria der Kreuzigungstafel.
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(18) Ein weiteres Kölner Kreuzabnahmebild, das der Meister der Lyversberg-Passion, ein Schüler des Marienleben-Meisters, gemalt hat12, ist gänzlich anders konzipiert und aufgebaut als die Kreuzabnahme seines Lehrers. Hier sind am linken Bildrand Maria und Johannes so gruppiert, dass die sitzende Maria den Jünger weitgehend verdeckt, während sie die Hände zum Leichnam Christi hinaufreckt (Abb. 17), Johannes hält sie sanft an der Schulter, sein Mantel ist am Ellbogen zurückgeschlagen, während der Mantel Mariens in großen Faltenzügen herabfällt und sich am Boden bis zu ihren Füßen ausbreitet. Diese beiden Detailmotive kehren bei der Feldhausener Gruppe in auffallend ähnlicher Form wieder, und man möchte meinen, dass der Glasmaler Komposition, Gruppenbildung und Einzelheiten aus den Kölner Tafelgemälden entlehnt und zu einem neuen Bild umgeformt hat. Zudem gehen auch die Gesichtstypen von Christus und Maria mit den spitzen Ovalen und den auffallend langen und schmalen Nasen gut mit den Gesichtern auf den Kölner Tafeln zusammen. Es mag sogar sein, dass der Maler der Feldhausener Fenster in Köln beim Meister des Marienlebens oder beim Meister der Lyversberg-Passion gelernt und gearbeitet hat. In Köln bestand offensichtlich eine enge Verbindung zwischen Tafel- und Glasmalern; dies ist z. B. durch die drei großen Prachtfenster im Nordschiff des Kölner Domes belegt, die in den Jahren nach 1507 nach Entwürfen des Meister der Hl. Sippe und des Meisters von St. Severin entstanden und auf vielfache Weise die Eigenarten dieser Meister der Wand- und Tafelmalerei widerspiegeln13. An einer kölnischen Schulung des Malers der Feldhausener Fenster wird kaum ein Zweifel bestehen, dazu sind die Ähnlichkeiten und Übereinstimmungen zu groß, aber wir haben keinen Beleg dafür, dass die Fenster auch in Köln hergestellt wurden.
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(19) Die beiden Standfiguren des Nordostfensters in Feldhausen sind sicher vom gleichen Glasmaler geschaffen, doch fällt es hier schwer, bestimmte Vorbilder auszumachen, weil sie in Haltung, Gesten und knittriger Gewanddrapierung so allgemein gehalten sind, dass man sie einstweilen nur pauschal als „spätgotisch“ ansprechen kann (Abb. 9, 18, 19). Der Glasmaler wird für sie entweder Kupferstiche, Holzschnitte oder eigene Skizzen nach Gemälden oder Skulpturen als Vorlage benutzt und diese nach Gutdünken umgeformt haben. Sicherlich war er kein großer Meister der eigenen Erfindung, aber ein tüchtiger und solider Maler, der sein Handwerk verstand und fremde Vorbilder geschickt zu kompilieren wusste.
Identifizierung der Wappen
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(20) Die Entstehungszeit der Feldhausener Fenster lässt sich wohl etwas besser eingrenzen. Die Fotos der Glasmalereien aus der Zeit vor 1900 zeigen im Kreuzigungsfenster (Abb. 3, 5, 20, 21) als Flickstücke wahllos montiert drei Wappenschilde zwischen spätgotischen Laubranken. Der verlorene Schild über der Maria-Johannes-Gruppe zeigte das Wappen der Drosten zu Beck, die von den Drosten zu Senden abstammten und mit den Drosten zu Vischering verwandt waren und das gleiche Wappen führten: im roten Feld ein silbernes Schildchen14. Die beiden anderen Wappen blieben erhalten und wurden bei der Restaurierung um 1900 zu beiden Seiten des ergänzten Kreuzfußes montiert: links das Wappen der Herren von Heiden mit drei silbernen Balken in Blau15, rechts das Wappen der Herren von der Becke, das in goldenem Feld unter drei schwarzen schreitenden Vögeln einen schwarzen Ring zeigt (Abb. 11, 22)16. Bei diesem Schild fällt auf, dass die Vögel „aus dem Fenster herauslaufen“ und dass er im Spiegelbild erscheint; denn normalerweise stehen die Vögel andersherum, zur „heraldisch rechten“ Seite gewendet. (In der Wappenkunst sind die Bezeichnungen „links“ und „rechts“ vertauscht, weil die Herolde des Mittelalters es sich angewöhnt hatten, die Wappen von ihrem Träger, also gewissermaßen von der Rückseite her, zu beschreiben.)
(21) Die „verkehrte“ Stellung des Wappens der Herren von der Becke, die auf Haus Beck ihren Stammsitz hatten, erlaubt nun Rückschlüsse auf die ursprüngliche Stellung des Wappens. Es war im Mittelalter üblich, dass Glasfenster, meist unterhalb der szenischen oder figürlichen Darstellungen, mit den Wappen der Stifter ausgestattet wurden, häufig in der Art eines über mehrere Fenster verteilten heraldischen Stammbaumes, in dem die Wappen der Eltern und Großeltern erschienen, auch wenn sie schon nicht mehr am Leben waren; so gedachte man ihrer und empfahl sie der Fürbitte der Heiligen. Prachtbeispiele dafür bieten die schon genannten Fenster im Kölner Dom. Die Wappenschilde in Feldhausen sind anscheinend der letzte Rest einer solchen heraldischen Ahnentafel. Zudem war und ist es in der Wappenkunst üblich, dass sich bei Wappendarstellungen von Ehepaaren der Schild des Mannes in „heraldischer Courtoisie“ dem der Frau zuwendet, d. h. im Spiegelbild erscheint, und dem Frauenwappen nicht unhöflich den Rücken zudreht. Das Wappen von der Becke mit den drei Vögeln muss also ein Männerwappen sein, weil es seitenverkehrt erscheint, und daraus lässt sich sein Platz im heraldischen Stammbaum bestimmen. Um uns das klarzumachen, müssen wir ein wenig in die Geschichte des Hauses Beck zurückgehen bis zu dem Punkt, an dem die Drosten zu Beck erscheinen: in das Jahr 1481. In diesem Jahr heiratete Bernt von Droste die Erbtochter von Haus Beck, Anna von Heiden. Schreibt man einmal beider Eltern und Großeltern zusammen, soweit sie bekannt sind, und setzt ihre Wappen dazu, so ergibt sich folgende Ahnen- und Wappentafel (Abb. 23):
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(22) Die Tafel zeigt, dass der Schild mit den drei Vögeln nur das Wappen des Johan von der Becke sein kann, der mit seiner Frau Elsa (Christine) 1473 die Vikarie in Feldhausen stiftete und die Kapelle hatte bauen lassen17.
(23) Der im alten Foto auf dem Kopf stehende Schild der Drosten zu Beck (Abb. 5 oben links, an der Stelle des Johannes-Kopfes, Abb. 20) kann allen drei Generationen der Drosten zu Beck bzw. zu Senden gehört haben. Wegen der reicheren Form mit der eingezogenen Flanke und dem seitlich ausgezogenen Schildhaupt möchte man ihn am ehesten Bernt von Droste zuweisen, zumal da Johan von der Beckes Wappenschild diese reichere Form anscheinend nicht aufwies. Dieser Schild ist allerdings um 1900 ergänzt und angestückt worden, sodass man zu dieser Frage keine ganz sicheren Aussagen machen kann (Abb. 20 rechts); er hat aber eine gerade Schildhauptkante, während der Schild der Drosten zu Senden und zu Beck oben leicht eingezogen ist.
(24) Der Schild der Herren von Heiden mit den drei silbernen Balken in Blau war vor 1900 ebenfalls unvollständig erhalten und ist bei der ersten Restaurierung angestückt worden. Auch er ist oben leicht eingebogen (Abb. 5 unten rechts, Abb. 21), sodass man ihn vielleicht als Gegenstück zum Wappen des Bernt von Droste ansehen kann. Dann wäre er das Wappen seiner Frau Anna von Heiden, der Erbtochter von Haus Beck und Enkelin des Johan von der Beke. Es sieht allerdings auf dem alten Foto nicht so aus, als sei er an der heraldisch rechten Flanke so stark eingezogen wie der Drosteʼsche Schild, andererseits war die andere Flanke abgeschnitten, sodass es auch der Schild von Annas Vater Menso von Heiden gewesen sein kann. Wir wissen ja ohnehin nicht, wo und wie die Wappenschilde in den verschiedenen Fenstern der Kapelle platziert waren und ob es sich allein um eine Scheibenstiftung von Bernt von Droste und seiner Frau Anna von Heiden gehandelt hat. Ebenso gut kann sich auch Johan von der Beke als Stifter der Kapelle an der Beschaffung von Fenstern beteiligt haben. Wir wissen nicht einmal, ob er 1481, bei der Heirat seiner Enkelin Anna, noch lebte, und ob der Erwerb von Haus Beck durch Bernt von Droste 1486 noch zu seinen Lebzeiten oder erst nach seinem Tode erfolgte. Die Hochzeit im Jahre 1481 kann der Anlass gewesen sein, die Kapelle mit Farbfenstern auszustatten; ebenso gut ist es denkbar, dass es sich um eine Memorienstiftung für die verstorbenen Eltern und Großeltern der Eheleute auf Haus Beck handelte.
(25) Dies alles wird sich in den Einzelheiten kaum noch klären lassen, ebensowenig wie die Zuordnung der Wappen zu den verlorenen und nur noch im Foto überlieferten Ranken (Abb. 20, 21). Mit ihren lappigen, eingerollten und umgeschlagenen Blättern sehen sie spätgotischen Helmdecken sehr ähnlich. Von den Helmen und Helmkleinodien, die eigentlich zu den Schilden gehören, hat sich kein Rest erhalten. Wir wissen nicht einmal, ob es sie überhaupt gegeben hat, und ob nicht die Schilde allein, von Ranken und Blüten umgeben, in den Fenstern gestanden haben.
Schluss
(26) Nach mittelalterlicher Gewohnheit wird das Kreuzigungsbild im (jetzt vermauerten) Mittelfenster des Chores, über und hinter dem Altar, seinen Platz gehabt haben, rechts und links begleitet von Heiligengestalten in Tabernakelgehäusen. Von ihnen sind nur die Strahlenkranzmadonna und der Evangelist Johannes übrig geblieben; über die Darstellung in den übrigen Fenstern der Kapelle wissen wir gar nichts. Erhalten ist also sicherlich nur ein bescheidener Rest der ursprünglichen Fensterausstattung, die wohl ziemlich genau vor 500 Jahren entstand. Das alte Haus Beck ist längst verschwunden; Friedrich Franz von Wenige zu Beck als Bauherr und Johann Conrad Schlaun als Architekt ersetzten die mittelalterliche Wasserburg um 1770 durch das schmucke Schloss der ausgehenden Rokokozeit18. An Johan von der Beke, seine Enkelin Anna von Heiden und ihren Mann Bernt Droste zu Beck erinnern – außer einigen Dokumenten in den Archiven – nur noch der Chor der Feldhausener Kirche und seine farbigen Fenster. Es sind kostbare Reste, die der Kirchengemeinde anvertraut sind zur pfleglichen Bewahrung und zur Weitergabe an die kommenden Generationen, kostbar als Kunstwerke und als Erinnerungsstücke an fromme Menschen, die vor einem halben Jahrtausend in Feldhausen lebten und wirkten.
- Sabine Schwedhelm und Gerd-W. Bergmann, In memoriam Ulf-Dietrich Korn (8.10.1936‒14.5.2019), in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 25, 2019, Heft 2, S. 52f.»
- Vgl. Dirk Strohmann, Bottrop-Feldhausen: Katholische Kirche St. Mariä Himmelfahrt, Konservierung der spätmittelalterlichen Glasmalereien, in: Denkmalpflege in Westfalen-Lippe 19, 2013, Heft 2, S. 83‒86.»
- Johannes Rottmann, 500 Jahre Kirche Feldhausen 1473 ‒ 1973, Feldhausen 1973, S. 22.»
- Gutachten von Ulf-Dietrich Korn vom 6.4.1971; Archiv des Corpus Vitrearum Deutschland, Freiburg i. Br., Objektakte Feldhausen.»
- Simone Epking u. a., Der Dom zu Münster 793 – 1945 – 1993, Bd. 2: Die Ausstattung (Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 26), 2 Bde., Mainz 2004, I, S. 88–91 (Ulrike Rüländer).»
- Die Bau- und Kunstdenkmäler in Westfalen, Bd. 39: Landkreis Recklinghausen und Stadtkreise Recklinghausen, Bottrop, Buer, Gladbeck und Osterfeld, bearbeitet von Johannes Körner, mit geschichtlichen Einleitungen von A. Weskamp, Münster 1929, S. 356.»
- Zum System der Außenschutzverglasung: Stefan J. Chr. Oidtmann, Die Schutzverglasung ‒ eine wirksame Schutzmaßnahme gegen die Korrosion an wertvollen Glasmalereien, Diss. Eindhoven 1994; Historische Glasmalerei. Schutzverglasung ‒ Bestandssicherung ‒ Weiterbildung. Ein Projekt der Deutschen Bundesstiftung Umwelt, Leipzig 1999, S. 17‒44 (Bernd Konrad, Hannelore Römich, Carola Troll).»
- Zu den Schadensbildern und deren Ursachen s. ausführlich: Ulf-Dietrich Korn, Ursachen und Symptome des Zerfalls mittelalterlicher Glasgemälde, in: Deutsche Kunst und Denkmalpflege 29, 1971, S. 58‒74.»
- Bei der jüngsten Restaurierung 2012 hat sich gezeigt, dass die Maßnahmen von 1973 sich im Wesentlichen bewährt haben und die Korrosion an den historischen Glasgemälden nicht weiter fortgeschritten ist. Das System wurde lediglich optimiert, indem die Halterungen durch Schrauben ersetzt und die Schutzgläser mit maschinengezogenem Goetheglas erneuert wurden. Vgl. hierzu Strohmann 2013 (wie Anm. 1).»
- Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. WRM 125. Die Tafel ist aus zwei Teilen zusammengesetzt, die ursprünglich die Flügelaußenseiten eines Retabels bildeten. Ihre Zuschreibung ist zwischen dem Meister des Marienlebens und dem Meister der Lyversberg-Passion strittig, ihre Datierung wird in dem Zeitraum um 1460–1480 angesetzt. Siehe hierzu: Frank G. Zehnder, Katalog der Altkölner Malerei (Kataloge des Wallraf-Richartz-Museums XI), Köln 1990, S. 467–471; Annette Scherer, Drei Meister – eine Werkstatt. Die Kölner Malerei zwischen 1460 und 1490, 3 Bde., Phil. Diss. Heidelberg 1998, I, S. 124–126, II, S. 351. In seiner dezentralen, auf ursprünglich zwei Flügel verteilten Komposition steht das Tafelgemälde der zweibahnigen Kreuzigung Christi in Feldhausen sehr nahe.»
- Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. WRM 136. Zehnder 1990 (wie Anm. 10), S. 475–484; Scherer 1998 (wie Anm. 10), II, S. 219–235, 360f. Die in der Forschung – zuletzt von Zehnder – wiederholt geäußerte Hypothese, dass die Mitteltafel des Ter Steegen de Monte-Triptychons mit der Darstellung der Beweinung Christi älter als die Flügelgemälde sei, wurde von Scherer mit guten, u. a. herstellungstechnisch begründeten Argumenten zurückgeweisen (S. 232f.). Sie datiert das Werk in die späten 1480er-Jahre (S. 233).»
- Köln, Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Inv. Nr. WRM 149. Zehnder 1990 (wie Anm. 10), S. 346–355; Scherer 1998 (wie Anm. 10), I, S. 105–116, bes. S. 112f., II, S. 348–350.»
- Herbert Rode, Die mittelalterlichen Glasmalereien des Kölner Domes (CVMA Deutschland IV,1), Berlin 1974, S. 186‒207; Brigitte Wolff-Wintrich, Die Nordseitenschiffenster des Kölner Domes und die rheinische Glasmalerei der Spätgotik, Phil. Diss. Bonn 1998.»
- Wappenbuch des Westfälischen Adels, hrsg. von Max von Spießen, 2 Bde., Görlitz 1901‒1903, I, S. 43, II, Taf. 103.»
- Wappenbuch 1901‒1903 (wie Anm. 14), I, S. 68, II, Taf. 163.»
- Wappenbuch 1901‒1903 (wie Anm. 14), I, S. 8, II, Taf. 18.»
- Körner/Waskamp 1929 (wie Anm. 6), S. 348f., 350.»
- Rotger Michael Snethlage, Wasserschloss Haus Beck (Kleine Kunstführer 1762), München/Zürich 1989; Florian Matzner und Ulrich Schulze, Johann Conrad Schlaun 1695‒1773. Das Gesamtwerk, 2 Bde., Stuttgart 1995, II, S. 628‒676, Nr. 72.»